„Wir hätten mehr über Rechtsradikalismus reden müssen“

Der PDS-Politiker Matthias Gärtner kritisiert seine Partei für den Umgang mit dem Thema. Sie müsse sich auf die „Wende“-Forderungen nach Weltoffenheit und Freiheit besinnen

taz: Seit Jahren mühen Sie sich gegen rechte Gewalt. Es scheint, dass alle Mahnwachen, Demos und Plakate wenig nutzen. Was macht die PDS falsch?

Matthias Gärtner: Nur wenige haben sich in der Vergangenheit intensiv und lang anhaltend mit dem Thema befasst, auch in meiner Partei verhallten die Rufe. Zu viele meiner Genossen haben sich zu lange darauf verlassen, dass eine Handvoll Leute das Thema bearbeitet. Die PDS hat den Rechtsradikalismus nie als brisantes Problem für die gesamte Partei anerkannt.

Welche innerparteiliche Auseinandersetzung wünschen Sie sich?

Auch bei uns gibt es ein Ressortdenken. In den vergangenen zehn Jahren haben wir nicht danach gefragt, ob die Ursachen für den Neonazismus nicht auch in unserer DDR-Vergangenheit liegen. Diese Auseinandersetzung ist schlicht gescheut worden.

Ihr Stratege Brie redet doch offen darüber.

Seine Äußerungen führen ja auch immer zu großer Aufregung. Er hat aber Recht: Wir müssen eine intensive Auseinandersetzung über das totalitäre Erbe der DDR führen. Die DDR war weder weltoffen noch fremdenfreundlich. Die Politik hielt den Neonazismus unter der Decke.

Diese Analyse ist bekannt.

Ja, aber die PDS steht hier in einer besonderen Verantwortung. Sie ist ja auch in ganz anderer Weise als die anderen Parteien in der Gesellschaft verankert. Bislang ist es uns aber nicht gelungen, dies auch als Chance zu nutzen. Wir hätten mehr über Rechtsradikalismus, offensive Einwanderungs- und AusländeriInnenpolitik mit der Bevölkerung reden müssen. Aber viele von uns haben sich nicht getraut, diese Themen offen anzusprechen, denn sie bergen Konflikte, und vielen Kollegen mangelt es schlicht an Konfliktfähigkiet.

Frustrierte PDS-Wähler suchen Zuflucht bei DVU und NPD, weil sie den antikapitalistischen, sozialistischen Impetus vermissen. Warum gelang es der PDS nicht, diese Leute in das System der Bundesrepublik zu integrieren?

André Brie vertritt die These, dass es ohne PDS eine machtvolle rechte Partei gäbe. Daraus wird für uns nur dann eine Chance, wenn es uns gelingt, in den Kommunen die Diskussion darüber zu führen. Dies müssen wir jetzt tun, zumal das Thema Rechtsradikalismus ja auch im Mittelpunkt des Parteitages in Cottbus steht. Wir brauchen eine Aufklärungskampagne für unsere Mitglieder und Kommunalpolitiker.

Der grüne Daniel Cohn-Bendit sagt: Deutschland braucht Einwanderung, Deutschland hat Einwanderung. Welchen Leitspruch taugt für die PDS?

Wir müssen daran erinnern, weswegen wir 89 auf die Straße gegangen sind: Für Weltoffenheit und Freiheit. An diesem Ausgangspunkt unserer östlichen Zivilgesellschaft müssen wir anknüpfen.

Die Bundesregierung will die Zivilgesellschaft mit Sonderprogrammen fördern. Freuen Sie sich auf diese Zusammenarbeit ?

Zunächst fordere ich von Rot-Grün ein Sonderprogramm zur Stärkung von antirassistischen und emanzipatorischen Initiativen. Dieses Programm könnte mit 30 Millionen Mark ausgestattet werden. Damit könnten wir die Initiativen im Osten stärken.

Zivilgesellschaft lässt sich auf die Frage der finanziellen Unterstützung reduzieren?

Nein. Aber hier leisten einige Gruppen gute Arbeit. Leider sind sie nur von ABM-Gelder abhängig. Und diese Arbeit muss endlich auf solide Füsse gestellt werden. Im übrigen muss jeder Politiker und jede Politikerin an jedem Ort die Zivilgesellschaft stärken. Allein deswegen sollte die CDU auf die unsägliche Kampagne gegen die Homo-Ehe verzichten.

Die PDS entdeckt die Graswurzelrevolution?

Wir werden mit dem Rechtsradikalismus nur fertig, wenn wir in der Breite arbeiten. Jetzt wird die Debatte darum vehement geführt. Und es ist doch ein positives Zeichen, wenn Kommunalpolitiker fragen, wie sie langfristig ein Klima schaffen können, in dem Rechtsradikalimus nachhaltig geächtet ist.

INTERVIEW: ANNETTE ROGALLA