Cluburlaub mit Spracherwerb

Einst nahm Malta, die karge Insel zwischen Europa und Afrika, die Ritter des Johanniterordens auf. Heute ist es ist eine Hochburg für Sprachschüler. Japaner, Deutsche, Russen trimmen hier tagsüber ihr Englisch. Und abends geht’s nach Paceville

von EDITH KRESTA
(TEXT)STEFAN FALKE (FOTOS)

Eine Nachmittagssonne, so golden wie eine Orange, taucht die Hafenbucht von La Valletta in ein warmes Licht. Ulrich, Marie und ich haben uns eine dghajsa, ein traditionelles maltesisches Boot, zur obligaten Hafentour gemietet. Ulrich atmet sichtlich auf. Endlich, erklärt er uns, glaube er an die touristischen Reize Maltas, von denen er bisher nur den strahlend blauen Himmel und das gute Wetter entdeckt habe. Wir schippern gemütlich auf dem malerischen Schiff durch Dockyard Creek mit den „three cities“: Senglea, Cospicua und Vittoriosa. Historische Forts, Bastionen und Untergrundsilos, das alte englische Krankenhaus, vom Wasser aus begehbar, mittelalterliche Paläste, die Herbergen der Ritter, Kirchen, die Docks der Briten. La Valletta, die Hauptstadt der Insel zwischen Afrika und Europa, mit seinem natürlichen Hafenbecken ist ein bisschen Venedig, ein bisschen Hamburger Dock und eine mächtige, prächtige mittelalterliche Stadt.

Ulrich, Maria und ich haben uns heute hinaus ins feindliche Leben gewagt. Alle drei sind wir Sprachschüler des Sprachcafés. Das Sprachcafé ist eine gepflegte Clubanlage. Die ehemalige Militärbastion der Engländer wurde – frei nach dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ – in einen modernen Ferienpark umgewandelt. Der ehemalige Exerzierplatz ist heute Pool, die Kaserene ein Hotel. Aber auf die Dauer, wenn man dort morgens vier Stunden Englisch büffelt, nachmittags in den Gartenlauben Vokabeln wiederholt oder am Pool faulenzt und abends sein Bier im nahen Vergnügungsviertel Paceville getrunken hat, ist die Anlage mit dem laut-schrillen Amüsierviertel doch irgendwie reizarm. Auch wenn Marie und Ulrich ganz reizvoll miteinander flirten. So klammheimlichst allerdings, dass sie es wahrscheinlich selbst nicht merken: scheinbar unabsichtliche Berührungen, das Lachen eine Spur zu aufgedreht, die Komplimente etwas zu dick. Marie hat mir heute prompt gestanden, dass sie zwar absolut nichts von Ulrich wolle, aber er sei nun mal ein toller Typ und ein wenig schockiert habe es sie schon, dass Ulrich, der ehemalige Pfarrer aus dem Norddeutschen, fünf Kinder und eine liebende Gattin habe. Gestern hat er uns die Bilder gezeigt. Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Man ist froh, dass man sich hat. Denn unter den reichlich vertretenen „sweet little sixteens“ aus Schweden und der Ukraine, aus Polen und Spanien, die hier ihr Schulenglisch aufbessern, könnten sich reifere deutsche Bildungsurlauber und andere Berufstätige schnell einsam fühlen. Aber die Mischung macht’s: Generationen, Nationen und Geschlechter. Marie, die hier ihr Englisch trimmt, bevor sie von einer Redaktion in einen Verlag wechselt, ist restlos begeistert. Schule plus Urlaub plus Anschluss. „Wo“, sagt sie, „lernt man sonst so schnell, so unkompliziert Leute kennen?“

Hier lernen die Schönen immer die Schönen kennen, die Japaner Japaner und die Deutschen Deutsche. Man bleibt sich treu. Wir auch. Anscheinend gibt es einen Kommunikationscode, der gegen alle internationalen Anfechtungen gefeit ist. Dass wir untereinander immer deutsch sprechen, stört eigentlich nur Marie. Sie belegt einen Intensivkurs und möchte auch in der Freizeit vom Englisch auf Malta profitieren. Deshalb hat sie uns vorgeschlagen, uns auf englisch zu unterhalten. Erfolglos. Umso enttäuschter ist sie, als auch unser Bootsmann nur eine sehr rudimentäres Englisch spricht. Und sich mit seinem vorbeifahrenden Kollegen in dem völlig unverständlichen Maltesisch austauscht. Bei Maltesich, dieser Sprache mit semitischem Unterbau, italienischen und englischen Einsprengseln, verstehen wir nur Bahnhof.

Unser Bootsmann spricht nicht nur ein schwaches Englisch, er weiß auch nicht so viel wie Marie. Die liest nämlich gerade den Roman „Der Kaplan von Malta“, auf englisch natürlich. „Voll historisch und voll informativ“, schwärmt sie und weiß bei jeder neuen Bucht, jedem Stadtteil La Vallettas, den wir auf dem Wasser ansteuern, ein Histörchen oder ein historisches Detail. Beispielsweise, dass die Ritter des Johanniterordens bei der großen Türkenbelagerung eine Eisenkette von einer Landspitze zur anderen in der Dockyard Creek spannten. Maries historische Kommentare sind meist völlig aus dem Kontext gerissen, aber genug, um unsere Fantasie anzuregen. Wir warten alle darauf, dass sie das Buch endlich ausgelesen hat. Selbst kaufen wollen wir es nicht, obwohl man es hier in jedem Souvenirladen in Englisch oder Deutsch bekommt. Genau das macht uns misstrauisch. Auch Ulrich hat sich historisch gebildet. Ohne Ehrgeiz, auf deutsch. „Das Schild Europas“ ist seine Urlaubslektüre über Malta und über die mannhaften Ritter des Johanniterordens, die die feindseligen Türken zurückschlugen. Die Geschichte mit der Eisenkette malt er uns mit Köpfen auf Lanzen und blutrotem Meer aus. Mit oder ohne Clubanlage: Wir sind uns selbst genug.

Nach der Anderthalb-Stunden-Tour im Hafen von La Valletta drängt Ulrich zur Rückkehr. Er hat sich mit Joachim, seinem Jugendfreund, der mit ihm den Kurs besucht, zum Ausgehen verabredet. Joachim, der Sales-Manager, ist sonst immer dabei. Heute hat er einen Tauchkurs beim Animateur unserer Anlage gebucht und übt im Pool. Im Bus zuckeln wir durch Slima und St. Julians in stockendem Verkehr zurück in unsere Anlage, vorbei an quadratischen, hohen Wohnblocks, die wahrscheinlich unbewusst den abwehrenden Ritterburgen nachempfunden sind. Steinburgen, die nun Mittelmeerträume abwehren. Slima und St. Julians mit ihren riesigen Hotelkomplexen sind trotzdem bis heute Objekte massenhafter touristischer Begierde, geschätzt vor allem bei Engländern. „Hässlich“, meint Marie kategorisch zum x-ten Mal. Dabei war das wohlhabende Slima in den 60er-Jahren ein Geheimtipp pensionierter Engländer und deutscher Studienräte. Nach der Unabhängigkeit von England in den Sechzigern und unter Premier Dom Mintoff, der durch seine Freundschaft zu Gadaffi und andere politische Sonderwege Malta in den Blickwinkel der internationalen Öffentlichkeit rückte, durfte kein Haus höher als zwei Stockwerke sein. Heute reiht sich auf der fünf Kilometer langen Meerespromenade von Dragut Point bis St. Julians ein hochgeschossiges Hotel ans andere. Die Küste ist verbaut, verschandelt, laut, hektisch. Und Paceville, das Amüsierviertel Maltas, ist die Krönung dieses Exzesses aus Beton, Bauwut und Lebenslust.

Joachim erwartet uns in beigefarbenem Sakko, beigefarbenen Mokassins ohne Socken und schwarzer Jeans an der Bar. Aufgeräumt lädt er uns zum Aperitif ein. Um ihn sitzen Margot, Claudia und Sabine, die kurz vor der Abreise stehen und lobende Worte über ihren etwas distanzierten, aber „sehr korrekten“ Lehrer äußern. Nur Margot ist froh, abzureisen. Als Einzige unserer In-Group wohnt sie bei einer Gastfamilie, was billiger kommt als der Aufenthalt im Hotel des Sprachcafés. Seit ihr allerdings nun die zweite blutjunge Mitschülerin ins Zimmer gelegt wurde, hat sie endgültig genug: von den allabendlichen Ausflügen nach Paceville, von den engen Verhältnissen in ihrer Gastfamilie und der steinigen Insel fast ohne Strände. Sie will nach Hause. Wir machen uns ausgehbereit. Claudia und Sabine schließen sich Joachim, Ulrich, Marie und mir an. Auch Margot kommt murrend mit.

Der Mond steht wie eine saftige Orangenscheibe über Paceville. Zu Fuß durch wilden Verkehr erreichen wir die Amüsiermeile. Ein Pulk von Menschen, mindestens zwei Drittel unter zwanzig, saugt uns auf. Paceville scheint ein riesengroßer Teenypark zu sein. Sprachschüler aller Nationen vereinigen sich hier zum Sommerkurs „Englisch auf Malta“. Hupen, laut dröhnende Technomusik, manchmal unterbrochen von Salsaklängen, Geschrei, Geschubse. „Peppermint Park“, „El Fuego“, „Clouds“, „Easy Rider“, „Rock Café“, „Coconut Grove“, „Rock E“, „Fella“, „Bamboo Bar“ . . ., wer zählt die Namen, kennt die Orte. Trotzdem, kein Ort, nirgends: Margot und Sabine haben wir inzwischen verloren. Wahrscheinlich sind sie im Internetcafé hängen geblieben. Das Fischrestaurant ist überfüllt. Also gehen wir an die nächste Bar, dort ist es Claudia zu laut. Wir schieben uns in ein Teahouse. Es gibt kein Bier. Nun drängt Joachim weiter, wir steuern die nächste Bar an, die hat keinen Kaffee, und Marie will unbedingt Kaffee. Wir trennen uns. Bis später. Endlich daheim in unserer Anlage.

Jeden Abend Paceville. Auch Marie und Ulrich wollen nicht mehr, deshalb fahren wir am nächsten Tag zu fünft mit dem Mietwagen nach Marsaxlokk, einem kleinen Hafenort, westlich von La Valletta. Marsaxlokk, so haben wir im Reiseführer gelesen, „ist so idyllisch, wie sich mancher ganz Malta vorstellt“. Kein Reiseführer ohne die bunten Fischkutter, die auf der Kaimauer sitzenden Fischer und im Hintergrund die fotogene Pfarrkirche „Our Lady of Pompei“. Doch die idyllische Hafenbucht hat Schlagseite. Dort, wo es raucht und faucht, direkt unter der Villa des ehemaligen sozialistischen Premiers Dom Mintoff, hat die Oppositionspartei, die Nationalisten, als sie Regierungspartei war, das größte Elektrizitätswerk der Insel gebaut. „Das war eine politische Sache“, erzählt uns die Wirtin eines Fischrestaurants. Dom Mintoff, der dagegen geklagt habe, bekam viel Geld als Entschädigung. „Er hat jetzt woanders eine Villa, aber wir sitzen hier auf dem Elend. Unseren Hafen haben sie zerstört“, sagt sie. Wir blicken auf die rauchenden Schlote. Wahrlich kein touristischer Höhepunkt. Marsaxlokk hat sein touristisches Kapital durch einen Don-Camillo-und-Peppone-Streich verspielt.

Wir wollen endlich richtig Fisch essen. Die Wirtin serviert den Lieblingsfisch der Malteser, Lampuki, sowie Thunfisch und Schwertfisch. Köstlich! Ulrich klagt über zu viele Gräten, Claudia mag keine Kapern, Joachim ist skeptisch, ob Fische in der Nähe des Elektrizitätswerks überhaupt gesund sein können. Mir schmeckt der Thunfisch ausgezeichnet. Ich will mir den Appetit nicht verderben lassen. Also erzähle ich von einer Prozession, die ich hier auf Malta erlebt habe, von Kitsch und Religiosität. Ulrich, der protestantische Expfarrer, findet diese Art der Religon fast heidnisch, Marie findet den Marienkult gut, weil er direkt an die alten archaischen Göttinen der Temple auf Malta anknüpfe. Joachim, der Sales-Manager, vergleicht den Religionskult mit unserer Eventkultur. Claudia erzählt von ihrer Jugend im katholischen Mädchenpensionat und den Abgründen des Katholizismus. Letztendlich haben alle zu viel getrunken. Aber das macht nichts, auch wenn wir noch nach St. Julians zurückfahren müssen. Die Entfernungen auf Malta sind gering und, so hat unsere maltesische Englischlehrerin berichtet, hier fahre ohnehin jeder betrunken Auto. Ein Gesetz über Trunkenheit am Steuer als Straftatbestand gebe es erst seit jüngster Zeit und habe sich noch nicht so richtig durchgesetzt. Ein gelungener Abend. Der Sternenhimmel, die Poesie von Marsaxlokk und seinem Elektrizitätswerk, der Fisch und der trockene maltesische Wein. Ulrich und Marie haben sich lange in die Augen geblickt. Und wir aufs Meer.

Sprachreisen für Erwachsene nachEngland, Malta, Spanien, Frankreich,Italien und Kalifornien bietet das Sprachcafé, Schneckenhofstraße 158, 60596 Frankfurt, Tel. (0 69) 6 10 91 20,Fax 6 03 13 95, www.sprachcafe.de