Urzeitreise für blutrünstige Kinder

■ Im Dinosaurierpark Münchehagen sind wissenschaftliche Fakten ebenso hart wie Plastik-Dinos

„Nee, lieber von der anderen Seite. Da sieht man viel besser, wie er blutet.“ Der Kleine hat Recht. Wenig später steht eine ganze Grundschulklasse direkt unter den gewaltigen Hörnern, die ein Horndinosaurier einem langhalsigen Artgenossen in den Bauch rammt. Die Lehrerin fügt sich ihren blutrünstigen Schülern und drückt brav auf den Auslöser des Fotoapparats.

Auch Jahre nachdem Steven Spielberg das „Jurassic-Park“-Fieber entfacht hat, sind Kinder immer noch begeistert von den skurrilen Ex-Erdbewohnern. In Münchehagen bei Loccum kommen die kleinen Fans so nah an die Objekte ihrer Begierde heran, wie es eben geht: Immerhin sind Dinosaurier seit Jahrmillionen ausgestorben. Deshalb gibt es in Münchehagen nur Plastik-Reproduktionen der Urzeit-Giganten – aber die in Originalgröße und zum Anfassen.

Echt sind dagegen die Fußspuren, die Dinosaurier vor 140 Millionen Jahren in Münchehagen hinterließen. Damals war es ein Sumpfgebiet, wo sich heute sanft die waldigen Hügel des beginnenden Weserberglandes aufschwingen. Durch glückliche Zufälle blieben darin die Fußstapfen der vorbeiziehenden Riesen erhalten. Wissenschaftler vermuten eine ganze Herde von 20 Meter langen Pflanzenfressern und einen einzelnen, aufrecht gehenden Saurier von fünf Metern Höhe. Heute heißt das Ganze „Naturdenkmal“ und hat zur weiteren Konservierung ein Dach bekommen. Darunter sind neben den mehr oder weniger unförmigen Dellen im Boden paläontologische Funde aus Niedersachsen sowie Rekonstruktionen von Dino-Skeletten versammelt.

Der Dino-Park versucht einen eigentlich unmöglichen Spagat: Die Anlage soll naturhistorisches Museum mit wissenschaftlichem Anspruch und Kinder-Freizeitpark in einem sein. Mit dem Naturdenkmal und Themen-Ausstellungen werden die Erdgeschichte und die Evolution der Dinosaurier vermittelt. Die in der reizvollen Landschaft drapierten Dino-Modelle zeigen dagegen, wie Dinosaurier ausgesehen und gelebt haben könnten – das wird immer wieder deutlich gesagt. Auch die Irrtümer der Dinosaurierforschung werden in Münchehagen sichtbar gemacht: Vom Iguanodon, dem ersten in Europa entdeckten Dinosaurier, gibt es gleich drei Modelle, die sich nur wenig ähneln.

Die jüngsten Besucher erschüttern solcherlei Ungewissheiten nicht. Mit großen Augen laufen sie die 2,5 Kilometer Dino-Pfad entlang und entdecken immer neue Exemplare der Urviecher. An den kleineren Modellen rennen vieleKids noch achtlos vorüber. Aber spätestens wo sich der fünf Meter hohe Allosaurus drohend über den Pfad beugt, sind sie ganz im Bann des schaurigen Monsters. Mit dem Vorurteil, der Zweibeiner sei ein schrecklicher Jäger, wird hier allerdings aufgeräumt: Laut Texttafel ernährte sich das schwerfällige Ungetüm vor allem von Aas – vermutlich gilt das Gleiche für den legendären Tyrannosaurus.

Ein echtes Monster war dagegen der Coelophysis: Der Kannibale fraß seinen eigenen Nachwuchs. Die Kinder schreckt das offenbar nicht. „Der sieht ja aus wie ein Huhn“, sagt ein kleines Mädchen kichernd. „Eierdieb“ schimpfen Kinder den Raubsaurier Ornithomimus, der sich an einem fremden Gelege gütlich tut. Von anderem Kaliber war dagegen der Seismosaurus: Der größte von allen Dinosauriern war ein friedlicher pflanzenfressender Riese. In Münchehagen ist er als größte Dino-Reproduktion der Welt mit 42 Metern Länge verewigt.

Am meisten fasziniert die Kinder jedoch der Deinonychus, denn der Raubsaurier ist zwar klein, aber gemein. Im Wald von Münchehagen ist zu sehen, wie er mit seinen scharfen Krallen einer Iguanodon-Mutter den Leib aufreißt, um dann auf ihr Verbluten zu warten. „Und die Kinder stehn rum und wollen nix machen“, empört sich ein Siebenjähriger, als wäre die Szene echt.

Der Dino-Park ist bemüht, die Dinosaurier-Neugier der kleinen Besucher in ernsthaftes paläontologisches Interesse umzuformen: Sie können hier selbst ein künstliches Dino-Skelett und kleinere fossile „Schätze“ zum Mitnehmen ausbuddeln. Nach getaner Arbeit locken im Restaurant zünftige Dino-Schnitzel und Dino-Burger – für alle, denen der Einblick in die blutige Urgeschichte noch nicht auf den Magen geschlagen ist. jank