„Einfache Formeln helfen nicht“

■ Der Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft zu DNA-Panne und Täterschutz: Die Einzelfallprüfung gibt den Ausschlag

Die Kritik an der Bremer Staatsanwaltschaft, die es 1999 ablehnte, einen vorbestraften Sexualtäter an die Gendatei des BKA zu melden, geht weiter. Gestern kritisierte der justizpolitische Sprecher der CDU, Dr. Frank Lutz, das Justizressort. Es sei unerträglich, dass das Nichtdurchführen der Gen-Analyse bei dem Mann mit dem Argument abgetan worden sei, das DNA-Analysegesetz sei erst kurzfristig eingeführt gewesen und man sei nicht sicher in der Anwendung, so Lutz. Die taz sprach darüber mit dem Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft, Jan Frischmuth.

Zur Erinnerung: Ein Bremer Staatsanwalt hatte den 43-jährigen Vergewaltiger Karl-Heinz D., der 1997 nach mehrjähriger Haftstrafe auf Bewährung frei kam, als ungefährlich eingeschätzt. Schon 1998 allerdings vergewaltigte der Entlassene ein elfjähriges Mädchen in Wilhelmshaven. Mangels DNA-Registrierung blieb er unentdeckt, obwohl er am Opfer Spuren hinterlasssen hatte. Erst im Juni dieses Jahres wurde Karl-Heinz D. geschnappt. Da hatte er gerade ein weiteres Kind entführt und miss-braucht. Mittlerweile soll er zahlreiche andere Gewalttaten gegen Kinder gestanden haben.

taz: Herr Frischmuth, wie stehen Sie zu dem Vorwurf der CDU, Sie hätten Gesetze unterminiert, weil Sie nicht wüssten, wie sie anzuwenden wären?

Jan Frischmuth, Oberstaatsanwalt: Abgesehen davon, dass der betreffende Staatsanwalt seine Entscheidung nicht ausführlich begründet hat, sondern nur feststellte, dass die Voraussetzungen zur Aufnahme in die Gendatei bei Karl-Heinz D. nicht vorlagen, trifft es nicht zu, dass das Gesetz neu war. Es galt seit 1998. Auch bestand keine Unsicherheit bei der Handhabung des Gesetzes. Allerdings kommt es bei solchen Entscheidungen darauf an, welche Prognose man über das Risiko einer Wiederholungstat der jeweiligen Person trifft. Die Frage ist, ob man jemanden, der unter Bewährung steht – dem Richter also keine Straftaten mehr zutrauen – bei der DNA-Begutachtung anders beurteilt. Dass man dafür also annimmt, er könnte doch wieder straffällig werden. Da liegt ein gewisser Wertungswiderspruch, den manche Gerichte nicht zulassen.

Was heißt das?

Dass man bei Leuten, die unter Bewährung stehen, wesentlich schwerer eine ungünstige Prognose begründen kann.

Könnte es die Entscheidung von 1999, betreffend Karl-Heinz D., heute wieder geben?

Ich will keine Kollegen schelten. Aber ich hätte so nicht entschieden. Es gibt ja auch Rechtsprechung, wonach die Prognosen nach dem DNA-Gesetz anders zu werten sind, als die zur Strafaussetzung zur Bewährung. Diese Rechtsauffassung habe ich mir von Anfang an zu Eigen gemacht, aber für Bremen ist das noch nicht entschieden. Wenn solch ein Fall auftritt, würde ich ihn durchs Landgericht klären lassen.

Heißt das, Sie stimmen dem CDU-Politiker Lutz zu, der ges-tern forderte, „der Schutz der Bevölkerung muss über dem Täterschutz stehen“?

Einfache Formeln helfen uns nicht. Wir haben immer mit Einzelfallentscheidungen zu tun, die auf den jeweiligen Täter, seine Persönlichkeit und seine Tat abstellen müssen. Aber gerade Prognose-Entscheidungen sind äußerst kompliziert. Auch ist jede Datenspeicherung ein erheblicher Eingriff ins Persönlichkeitsrecht.

Gibt es viel Widerspruch von Personen, die in der Gendatei gespeichert werden sollen?

Es handelt sich hier um ein rechtsstaatliches Verfahren. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, jemanden zu speichern, wird dem Betroffenen mitgeteilt. Er kann gegenüber dem Gericht seine Bedenken äußern. Da bin ich in einigen Fällen überzeugt worden. Aber in einem Fall habe ich eine Beschwerde laufen. Bislang sind unsere Anträge auf Speicherung selten abgelehnt worden, was aber wohl auch daran liegt, dass wir zunächst die Fälle mit höherem Risikopotential bearbeiten, Raub und Sittlichkeitsdelikte. Sobald wir zu den Vergehen kommen, erwarte ich, dass die Gerichte unseren Antrag auf Speicherung häufiger ablehnen.

Wie vermeiden Sie weitere Pannen wie im Fall Karl-Heinz D.?

Diese Fehlentscheidung, die jeder sehr bedauert, ist praktisch nicht wiederholbar – auch weil wir die Vorschläge der Polizei äußerst selten ablehnen.

Heißt das, praktisch jeder polizeibekannte Sexualstraftäter wird gespeichert?

Nein, so auch wieder nicht. Es geht um den Einzelfall. Beispielsweise hatte ich den Fall eines Familienvaters, der sich vor 15 Jahren an seiner damals 13-jährigen Tochter vergangen hat. Er bekam eine Bewährungsstrafe. Er war vorher und später nie mehr aufgefallen. Da habe ich von einem Antrag auf Aufnahme in die Gendatei abgesehen. Aber grundsätzlich werden die Maßstäbe sehr eng sein.

Die Logik der Gendatei ist: Je mehr Daten sie speichert, umso größer die Chance, einen Wiederholungstäter an Hand der DNA zu überführen. Bremen hat bisher 150 Datensätze ans BKA gemeldet, 400 Fälle sind in Arbeit. Wie lange brauchen Sie noch?

Vor uns liegt ein erheblicher Berg von unerledigten Datensätzen. Wir sind ja verpflichtet, alle 8.000 Datensätze vom Bundeszent-ralregister abzuarbeiten, Personen also, die seit 1945 von Bremer und Bremerhavener Strafgerichten verurteilt wurden. Wir hoffen, dass diese Arbeit in einem Jahr abgeschlossen sein kann, zumal wir dafür kein zusätzliches Personal haben. Fragen: Eva Rhode