Freibeuter im Trockendock

Fundiert, satirisch und gerne auch zynisch: Seit vierzig Jahren feuert das britische Satiremagazin „Private Eye“ hochmütig und zielsicher auf Presse und Establishment – und meint damit sich selbst

von STEFFEN GRIMBERG

Der Gnom wird 40. Um genau zu sein: Seine Wohlgeboren, der augenblickliche Lord Gnome, mit bürgerlichem Namen Ian Hislop. Als selbst bestallter Adelsspross eröffnet Hislops Lord-Gnome-Kolumne seit vierzehn Jahren eine britischen Institution, die bald selbst runde 40 wird: das Satiremagazin Private Eye.

Wer dabei an deutsche Pendants wie Titanic oder Eulenspiegel denkt, wird schon durch die Aufmachung des alle zwei Wochen erscheinenden Pamphlets eines Besseren belehrt: Auf gerade mal 36 Seiten auch noch minderwertigen Papiers kommt ein ziemlich dürftiges Heft daher.

Und es ist besser. Wenn auch der Titel stark dem „Scherz, Satire und schiefere Bedeutung“-Dogma neuerer Frankfurter Schulen verpflichtet ist – innen drin bricht sich der Anspruch Bahn, selbst ernanntes Korrektiv britischer Politik und der medialen Berichterstattung zu sein. Fundiert, satirisch, manchmal zynisch – und immer herrlich selbstgerecht: Private Eye, die sarkastische Stimme aus der Tiefe des Establishments.

Schon kurz nach seiner Gründung durch eine Handvoll Oxford-Studenten (die Parallelen zur den ebenfalls von den Eliteuniversitäten stammenden Monty Pythons ist augenfällig) machte Private Eye Schlagzeilen: In einer „An feindliche Agenten“ betitelten Kolumne enthüllte das Magazin 1963 die Identität von „C“, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes MI 6 und, löste so beinahe eine Staatskrise mit Langzeitwirkung aus. Offiziell sind Britanniens führende Geheimdienstler erst seit 1994 öffentlich bekannt.

Vor allem die Presse steht heute im Mittelpunkt des Eye, Sektionen wie „Street of Shame“ und „Hackwatch“ listen penibel die Absurditäten der täglichen Berichterstattung auf, für allzu übertriebene Arschkriecherei wird der Ritterschlag zum „Order of the Brown Nose“ verliehen. Genau hier offenbart sich auch eine Schwäche des Blattes: Seine politische Dimension schrumpft, und die Gefahr besteht, dass es endgültig zur reinen JournalistInnen-Postille mutiert. Einem hermetischen Blättchen, das zwar jede Chefredaktion akribisch lesen lässt – schließlich könnte ja was über einen selbst drinstehen –, dass aber langsam den Bezug zum aktuellen Hier und Jetzt verliert. Spaß macht’s trotzdem, notwendig ist es in der notorisch verschwägerten Presselandschaft ebenfalls – und wird hier zu Lande schmerzlichst vermisst.

Zu Hochzeiten war Private Eye unter Hislops Chefredakteursvorgänger Richard Ingrams so gefürchtet, dass die beiden größten Pressevertriebsketten des Landes das Magazin boykottierten, da nach arkanen britischen Gesetzen auch der Verkäufer einer Zeitung wegen Verleumdung verklagt werden kann. Unter Hislop sind nun Rechtsanwälte die ersten Leser aller Ausgaben, mit deren Segen auch der Pressehandel ausliefert.

Trotzdem zahlt Private Eye alljährlich stattliche Summen an laut Gerichtsbeschluss zu Unrecht Gescholtene; wo alle anderen britischen Medien kniffen, nahm es das Blatt bis zuletzt auch mit dem skandalträchtigen Pressebaron Robert Maxwell auf.

Die Aktionäre des Eye-Verlags Pressdram werden aus ihren Anteilen wohl nie Kapital schlagen. Und noch etwas verbindet sie mit den Eigentümern der taz: Offiziell gehört ihnen das Magazin. Zu sagen haben sie nichts.