Die Toten unter dem Schutt

Im niederländischen Enschede, wo am Samstag die Explosion einer Feuerwerksfabrik ein Stadtviertel zerstörte, könnten unter den Trümmern noch bis zu 200 Tote liegen, fürchten die Bergungsmannschaften

aus Amsterdam HENK RAIJER

Die Suche nach menschlichen Überresten unter dem Schutt von Enschede dauert an. Ein Drittel des Gebiets, das am Samstagnachmittag in Folge einer Feuerwerksexplosion in der ostniederländischen Stadt vollständig verwüstet wurde, ist bisher vom Katastrophen-Identifikationsteam (RIT) Zentimeter um Zentimeter durchsucht worden. Und die 144 Männer in ihren weißen Anzügen mit Schutzmasken vorm Gesicht, die das RIT im Wohnviertel Roombeek im Einsatz hat, werden wohl auch „noch eine ganze Weile zu tun haben“, räumte Bürgermeister Jan Mans gestern auf der täglichen Pressekonferenz in Enschede ein.

Bislang sind 16 Tote geborgen worden, 620 Menschen wurden verletzt. Die Zahl der Vermissten liegt unverändert bei 200, und die Angst, dass die meisten davon in dem Inferno, bei dem 400 Häuser hinweggefegt wurden, verbrannt sind, hat sich bei Angehörigen und Freunden eingenistet.

Sichtlich zerknirscht musste Bürgermeister Jans Mans gestern zugeben, dass der RIT-Suchtrupp inzwischen nicht nur das verwüstete Wohnviertel Roombeek und das Gelände der Firma S. E. Fireworks durchkämmt. Auch das Gelände, auf dem der Schutt und die ausgebrannten Autos abgeladen worden sind, wird seit gestern früh nach menschlichen Überresten abgesucht. Anwohner wollten Hilfeschreie unter dem Geröll gehört haben. Das hat sich inzwischen jedoch als unzutreffend erwiesen.

Nach Meinung in- und ausländischer Katastrophenhelfer geht die Suche nach Toten oder gar Überlebenden in Enschede viel zu langsam voran. Danach gefragt, warum nicht schneller gearbeitet werde, antwortete Bürgermeister Mans, die RIT-Experten hätten ihm zu verstehen gegeben, sie könnten nur so arbeiten, wie sie es eben täten. Und wenn er als Bürgermeister das für unprofessionell halte, solle er doch die Verantwortung für die Arbeit der Identifikationsteams übernehmen. „Dafür sehe ich bislang keinen Grund“, so Mans. Auch die Feuerwehr gerät zusehends in die Kritik. Kaum zu glauben ist die Tatsache, dass sie nicht gewusst haben soll, dass in den Bunkern und Containern der Firma S. E. Fireworks Feuerwerkskörper lagerten. Immerhin haben die Behörden nach eigenen Angaben jährlich Lagerhallen und Bestände überprüft und Genehmigungen erteilt. Schlimmer noch: Sollte es zutreffen, dass in den Lagern außer Feuerwerk Magnesiumbällchen aufbewahrt wurden, bedeutete dies, dass die Feuerwehr, die zum Löschen eines Brandes gekommen war, die Katastrophe womöglich erst ausgelöst hat (siehe Kasten). Zeugen wollen im übrigen gesehen haben, dass das Feuerwerk auf dem Werksgelände kurz vor der Katastrophe vom Samstagnachmittag nicht nur in zwölf Bunkern, sondern darüber hinaus in 14 Schiffscontainer aufbewahrt wurde – für drei hatte S. E. Fireworks eine Genehmigung.