Kostbare Billigheimer

Zivildienstleistende sind für das Sozialsystem unverzichtbargeworden. Ihr Wegfall käme die Verbände teuer zu stehen

BERLIN taz ■ Wie viel Kosten die Zivildienstleistenden der Gesellschaft ersparen, lässt sich nicht beziffern. Doch so viel ist gewiss: Der Zivi ist zum unverzichtbaren Bestandteil des Sozial- und Gesundheitssystems geworden. Darin liegt für die Sozialverbände ein großes Problem. Falls mit der Reduzierung der Wehrpflichtigen auch eine Abnahme der Zivildienstleistenden einhergeht, müssen sie überlegen, wer die Arbeiten künftig erledigen soll. Es wird teuer. Joachim Hagelskamp, Referent für Zivildienst beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW), hat es ausgerechnet.

Wer eine Zivistelle in ein so genanntes Normalarbeitsverhältnis umwandelt, muss als Arbeitgeber von jährlichen Kosten um 50.000 Mark ausgehen. Netto würde der Arbeitnehmer monatlich etwa 1.400 Mark erhalten. Falls mit der Bundeswehrreform ein Ende des Zivildienstes eingeläutet wird, würde dies allein für den DPW einen Mehraufwand von jährlich 175 Millionen Mark bedeuten. „Das ist eine vorsichtige Schätzung“, gibt Hagelskamp zu bedenken.

Der herkömmliche Zivi ist ein Billigheimer. Rund 500 Mark kostet er den Arbeitgeber im Monat, den Rest des Solds übernimmt der Bund. Momentan beträgt dessen Anteil 70 Prozent. Im vergangenen Jahr beteiligte der Bund sich noch mit 75 Prozent. Allein diese Umstellung kostet die Verbände viel. In diesem Jahr rechnen sie mit Zusatzausgaben von 65 Millionen, ab 2001 mit 100 Millionen Mark. Die Gretchenfrage lautet wieder einmal: Was darf die Versorgung von Kranken, Alten und Behinderten kosten, wenn die Zivis rar werden?

Über Alternativen wird nachgedacht: 630-Mark-Kräfte, Teilzeitarbeiter, Ehrenamtliche oder Festangestellte sollen die Lücke schließen. Andere Szenarien sehen Freiwilligendienste vor oder die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. Dieser Vorschlag hat zwar der DPW in die Diskussion gebracht, doch ist er nicht unumstritten. Hagelskamp will niemanden zwingen, Dienst am Nächsten zu tun. „Der Pflichtdienst ist kontraproduktiv für die Motivation“, sagt er. Die Frage ist zudem, wer überhaupt 38,5 Stunden in der Woche Zeit findet, als Ehrenamtlicher zu arbeiten. Auch 630-Mark-Jobber sind teuer – für sie müssen Sozialabgaben abgeführt werden.

Für Hagelskamp sind alle Überlegungungen noch nicht ausgereift. Bis auf eine Forderung. Der DWP möchte, dass der Staat für den Ausfall der Zivis zahlt. Über Berechnungsgrundlage und Dauer der Ausfallzahlungen wurde noch nicht verhandelt.

Formal gesehen sind die Zivistellen keine Arbeitsplätze: Der Einsatz von Zivis darf weder Arbeitsplätze bedrohen noch die Schaffung neuer Stellen behindern. Doch in der Regel funktioniert das nicht. Die Zentralstelle für Recht und Schutz des Kriegsdienstverweigerers hat herausgefunden, dass drei Zivis zwei reguläre Arbeitsplätze ersetzen. Ohne Zivis könnten bundesweit 90.000 Arbeitsplätze entstehen. Das Problem aber ist: Für viele Einrichtungen gibt es keine Alternative zu den billigen Zivis.

ANNETTE ROGALLA