Contrôle totale im Internet

Neues Gesetz in Frankreich soll Anonymität im Internet weitgehend abschaffen. Im Zweifel wird der Provider haften. Es drohen Strafen bis zu einem halben Jahr Gefängnis, eine staatliche Aufsichtsbehörde wird das Web durchforsten
aus Paris DOROTHEA HAHN

Am Anfang war eine unbekleidete Frau. Als die französische Schauspielerin Estelle Hallyday ihr Abbild in ganzer Schönheit und völlig unautorisiert im Internet wiederfand, zog sie vor Gericht. Ihre Anwälte belangten nicht etwa denjenigen, der die Nacktfotos ins Netz gestellt hatte, sondern den „Hébergeur“, auf dessen Computer das Material einzulesen war – also den Internetprovider. Prompt musste der Provider „Altern“ im vergangenen Jahr 70.000 Francs Strafe (21.000 DM) an Hallyday zahlen.

Das war zwar eine Menge Geld für www.altern.org, der viele politische Organisationen und Initiativen beherbergt. Aber der Internetprovider schrammte damit noch einmal haarscharf am sicheren Ruin vorbei, den die ursprünglich beantragte Strafe von einer knappen halben Million Francs bedeutet hätte.

Die Sache brachte in Frankreich eine politische Diskussion über den Umgang mit gesetzeswidrigen Veröffentlichungen im Internet ins Rollen. Nach dem Vertrieb pädophiler Bilder, nach den Aktivitäten von Neonazis im Netz und nach den Berichten über angebliche anarchistische Umtriebe ebendort gilt es in Paris als ausgemachte Sache, dass das Internet kontrolliert gehört.

Der sozialistische Abgeordnete Patrick Bloche fasste diese Sorge, die quer durch das rechte und linke politische Establishment geht, in ein Gesetz, das bereits in zweiter Lesung die Nationalversammlung passiert hat. Mitte Mai kommt das Gesetz über die „Verantwortung der technischen Dienstleister im Internet“ in zweiter Lesung in den Senat. Es droht mit Strafen, die bis zu sechs Monaten Gefängnis reichen.

Für alles, was über eine simple mél hinausgeht, müssen künftig der Name und die Adresse des Verantwortlichen bekannt gemacht werden. Zwar darf ein Text weiterhin anonym im Netz stehen, doch muss der Internetprovider, der ihn beherbergt, die Daten des Verantwortlichen kennen. Neben der Einführung dieses in Europa einmaligen Kontrollgesetzes bastelt gegenwärtig die rot-rosa-grüne Regierung an einer obersten Aufsichtsbehörde, die künftig die Internet-Inhalte überwachen soll. Nach dem Vorbild des Aufsichtsrates für die audiovisuellen Medien (CSA) und nach jenem des technischen Rates, der das höchst erfolgreiche „Minitel“ (Btx-Texte) überwacht, soll diese neue Kommission nicht nur das Internet screenen, sondern auch Websites mit gesetzeswidrigem Inhalt verhindern.

Während der Verband der französischen Internetprovider AFA (www.afa-france.com) das Gesetzesvorhaben begrüßt, reagiert die rasant wachsende französische Surfer-Gemeinde entsetzt. Das ist ein „Staat à la 1984“ kommentiert Valentin Lacmabre von „Altern“. Thierry Meyssan vom libertären „Reseau Voltaire“ (www.reseauvoltaire.net) versucht, den Maulkorb für das Internet mit einer französischen Rechtstradition zu erklären, in der die „administrative Diktatur“ und das “republikanische Prinzip“ immer wieder in Konflikt geraten. Bei dem Internet-Gesetz hätte danach die “administrative Diktatur“ das Sagen.