Katastrophen-Spezialisten treten ab

■ Heute feiert das Junge Theater ein rauschendes Abschieds-Fest. Morgen beginnt die Obdachlosigkeit. Carsten Werner erzählt von Frust und Hoffnungen und mancher Erinnerung

Ab morgen verabschiedet sich das Junge Theater in die Obdachlosigkeit. Guter Grund für ein rauschendes Fest, finden die Theaterleute, und schwitzen sich heute ab 22 Uhr durch einen 28-stündigen Veranstaltungstriathlon mit 16 Musik- und Theateracts, einer Versteigerung und einem „Letzten Frühstück“ (siehe Kasten). Eine Henkersmahlzeit wird's wohl nicht, denn selbst dem allerletzten Kulturbürokraten ist klar, dass Bremens einziges experimentelles Off-Theater nicht verenden darf. Trotzdem: Solange es keine Kulturdeputation gibt, die den Umbau der Schwankhalle festmauert, befindet sich das Theater in der Situation eines Fallschirmspringers, dem mitten in der Luft ein Fallschirm versprochen wurde. Panik? Keineswegs, denn Bremens KünstlerInnen sind längst unter die Extremsportler gegangen. Allen voran Carsten Werner, Intendant des Jungen Theaters.

taz: Selbst in der Zeit der Obdachlosigkeit wollt Ihr knapp 100 Aufführungen auf die Beine stellen, darunter eine Uraufführung von Alexej Schipenko. Wie kommt man da ran?

Carsten Werner: Das ist nichts Spektakuläres. Schipenko dachte sich einfach, er könne nicht immer nur für Thomas Ostermeiers Baracke schreiben. Er fragte nach bei der Zeitschrift „Theater in der Zeit“, dem Ossi-Pendant zu „Theater heute“, welches Ensemble wohl mit einem Tier wie ihm fertigwerden könnte und wurde an uns verwiesen. Jetzt schreibt er die Rollen unseren Schauspielern auf den Leib, ganz maßgeschneidert. Als Spielstätte wollen wir irgendein Parkhaus ausfindig machen.

Warum seit ihr denn jetzt schon ausgezogen? Umzugs-Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bei einem geordneten Umzug die neue Wohnung festgeklopft und erst dann gekündigt wird.

Unser „Plan 2000“ war, ganz anständig im Frühjahr aus- und anschließend einzuziehen. Die Kulturbehörde hat das nicht hinbekommen. Aber wir wollen, können, werden nicht mehr die hohe Miete der alten Spielstätte aufbringen, immerhin knapp die Hälfte unseres 200.000-Mark-Etats. Um unsere Schulden des Jahres 1997 abzubauen, haben wir 1998 geknausert und 1999 völlig „ehrenamtlich“, wie man Hungerleidertum so nennt, gearbeitet. So etwas hält man kein zweites Jahr durch. Doch es gab nicht nur schnöde ökonomische Argumente für die Entscheidung zur Heimatlosigkeit. Die ist nämlich künstlerisch eine echte Chance, vorausgesetzt sie ist befristet. Beispiele wie die Renovierungsschließungen in Bremen und Bremerhaven mit ihren aberwitzigen Übergangsorten haben das gezeigt. Es ist wie Leben auf dem Camping-Platz, stressig, aber vielleicht auch lustig. Wir erfinden uns neu.

Keine Angst, dass es mit der Schwankhalle im Herbst nichts wird?

Das Risiko ist uns bewusst. Aber Entscheidungen zu treffen haben wir bei diesem Job gelernt. Als Veranstalter und Arbeitgeber sagst du andauernd Ja – und noch viel öfter Nein.

Ehrenamtlich heißt in deinem Fall sechzig Wochenstunden ohne Kohle. Packt einen da nicht nackte Wut gegenüber einem kafkaesken Behördenapparat, der ewig rotiert und nichts auf die Reihe kriegt?

Das ist nicht neu. Da herrscht schrecklich viel Ahnungslosigkeit. Ausnehmen davon würde ich Kultursenator Schulte. Den sieht man sogar oft im Theater, auch bei uns. Haken tut es nicht an ihm, sondern an den üblichen Machtspielchen. Ich kenne da in der SPD Stimmen, die es Schulte schlicht nicht gönnen, Erfolg aufzuweisen mit einem neuen Kunstzentrum Schwankhalle. Das Ergebnis der jetztigen Politik wird sein, dass jede Menge kreatives Potential aus dieser Stadt flieht.

Wie trifft es euch?

Seit Bestehen hat zweimal das ganze Ensemble gewechselt. Und aktuell: Zum Ende dieses Jahres gekündigt haben Nomena Struß und Anja Wedig, zwei heftige Leistungsträger. Im Gegensatz zu anderslautenden Gerüchten ist ja Kultur keineswegs tot in diesem Land. Es gibt durchaus Arbeitsplätze, Perspektiven. Und es gibt Städte, die Kultur für wichtig halten. Von einer solchen, einer Kleinstadt, haben wir ein interessantes Kooperations-Angebot erhalten. Da wird aufgebaut, neuentdeckt, nicht abgebaut.

Freude auf die Schwankhalle?

Wir haben uns die Schwankhalle weder ausgesucht noch gewünscht. Doch sie hat einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie ist möglich. Im Gegensatz etwa zu Emigholz' Teerhof-Vorschlag, wo man erst noch fünf Jahre prüfen, planen, philosophieren würde. Seitens der Behörde kamen alle möglichen Vorschläge: Postamt 5, Europakino. So nach dem Motto: Wir stellen euch da mal eben einen 400-Stühle-Saal hin, dann kommt ihr ohne Subventionen aus. Wo leben diese Leute eigentlich? Wir haben keine 400 Besucher, wir haben im Schnitt 50 und liegen damit übrigens sehr gut im Rennen.

Wie wird das Leben in der Zwischenzeit?

Heute zum Beispiel rase ich von Spielstättenbesichtigung zu Vorstellungseinrichtung zu Radio Bremen-Interview, dann mach' ich die Vorstellung, dann trinke ich ein Bier esse ein Müsli und falle um 2 Uhr nachts ins Bett. Das machen zehn anderen bei uns genauso, und das seit sieben Jahren. Mein erster Gedanke am Morgen: Wie kriegen wir das heute Abend hin? Das fällt jetzt weg. Statt täglichen Vorstellungen gibt es dieses Jahr knapp 100. Manche von uns weinen. Ich dagegen freue mich, mal ausschlafen zu können und wieder näher an die Kunst ranzurücken. Endlich mal wieder auf eine Probe konzentrieren und nicht dazwischen Bier kaufen, Faxe verschicken ... Der Wegfall der Gastspiele in unserem Haus ist für die freie Szene in Bremen natürlich blöd.

Diese neuen Formen der Mischfinanzierung durch Staat und Wirtschaft, was bedeutet das für Deine Arbeit?

Etwa 20 Stunden in der Woche werden durch Klären von Geldfragen weggefressen.

Deine Einstellung zu Sponsoring?

Wir waren eines der ersten drei deutschen Theater, die einen Vertrag mit einem großen Sponsor hatten. WEST-Zigaretten unterstützen das Hamburger Schmidts, das Kölner Stadttheater und uns. Heute interessieren sich diese Großsponsoren leider nur noch für die großen Theater, eben diejenigen, die damals laut aufjaulten: Verrat, Ausverkauf. Rückblickend war die Zusammenarbeit mit WEST klasse. Man nimmt sich drei Stunden Zeit, stellt vernünftigen Leuten sein vernünftiges Konzept vor, scheitert vielleicht vier mal – und das fünfte Mal klappt es. Im Gegensatz dazu arbeitet die Behörde gruselig unprofessionell. Du redest dir den Mund fusselig, vor wechselndem Personal, vor gelangweilten bis dummen Personal, und erreichst nichts. Wenn doch, dann ist es ein schwer durchschaubarer Gnadenakt; weil deine Kontakte stimmen oder es machtpolitisch gerade passt.

Was hatte WEST von euch?

Am Ende sagten sie uns in Workshops, dass Sie von uns viel gelernt hätten. In Sachen Management. Natürlich hat Norbert Kentrup von der Shakespeare Company Recht, wenn er behauptet, nicht die kmb mit ihren wohlbestallten, festen Mitarbeiter kann der Company wirtschaften lernen, sondern genau umgekehrt. Freie Kulturarbeiter sind die effizientesten Manager, die es gibt. Und wir sind Trüffelschweine, immer auf der Spur des Neuen.

Schönste Momente

Ich finde es sehr geil, wenn im Theater Menschen zusammenkommen, die sich auf der Straße aus dem Weg gehen. Zum Beispiel beim Gastspiel von Punkern aus Krakau, die Romeo und Julia spielten. Im Publikum saßen einträchtig nebeneinander: polnische Apotheker und Bibleothekare, Shakespeare-Fans und die Punks vom Sielwalleck inklusiv Bierflasche und Hunden. Besonders gern erinnere ich mich an eine Aufführung von Braschs „Mercedes“ in Berlin vor zwei Zuschauern. Da entstand Kommunikation ganz ohne Worte, ein magischer Moment.

Das Schlimmste.

Der Vorwurf von Bringfriede Kahrs, wir jungen Menschen könnten nicht mit Geld umgehen, ausgesprochen ausgerechnet in jener Deputationssitzung, in der man –ne Million Defizit vom Musikfest kaschierte. Da regt mich noch heute auf. Ja und dann dieser SPD-Mensch. Auf den Hinweis einer Schauspielkollegin, sie sei nun 30 Jahre und würde nur 600 Mark verdienen, meinte der: Studenten verdienen auch nicht mehr. Aber wir sind nicht Studenten, wir üben einen Beruf aus.

Neulich wollte ich bei euch „Die Präsidentinnen“ gucken. Eine der drei Schauspielerinnen war krank. Ihr habt jemanden aus einem anderen Programme aufgetrieben und kurzerhand zwei Stück fusioniert. Das nenne ich Notfallspezialisten.

Klappt aber nicht immer. Wenn du die wunderbare Maria Happel einlädts zu einer Benifizveranstaltung und das Publikum wartet – umsonst, weil der Kollege versäumte den Flug zu buchen, das vergisst du nie. Fragen: bk