Auf dem Abstellgleis des Arbeitsmarktes

Angesichts der steigenden Erwerbslosigkeit von Ausländern schlagen Arbeitsmarktforscher Alarm ■ Von Bernd Siegler

„Die potenzielle Mehr-sprachenkompetenz von jungen ausländischen Arbeitskräften stellt auch eine Chance dar“

Nürnberg (taz) – In den letzten 15 Jahren ist die Arbeitslosigkeit von Ausländern „fast schon dramatisch“ gestiegen. Elmar Hönekopp, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, schlägt jetzt Alarm: Einerseits könnten aus der ständig sinkenden Erwerbsbeteiligung von Nichtdeutschen erhebliche soziale Konflikte entstehen. Andererseits könnten junge ausländische Arbeitskräfte „wegen ihrer potenziellen Mehrsprachenkompetenz eine interessante Chance für eine exportorientierte Wirtschaft wie die Deutschlands darstellen“. In einer neuen Studie mahnt der Arbeitsmarktforscher „enorme Anstrengungen zur Erhöhung des Qualifikationsniveaus“ von Nichtdeutschen an.

Ende Januar waren in Deutschland 520.954 Ausländer arbeitslos. Ihre Arbeitslosenquote ist mit 19,6 Prozent nahezu doppelt so hoch wie die der Deutschen. In Berlin sind gar 35,2 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 43,3 Prozent und in Sachsen-Anhalt 49,2 Prozent der ausländischen Erwerbspersonen arbeitslos.

Diese Zahlen sind ein vorläufiger Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung. Seit 1974, also ein Jahr nach Inkrafttreten des Anwerbestopps, sind ausländische Arbeitnehmer überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Schere öffnete sich beständig, bis ab 1996 die Arbeitslosenquote bei Ausländern um rund 100 Prozent über der Durchschnittsquote lag. „Ausländer geraten auf dem Arbeitsmarkt zunehmend auf ein Abstellgleis“, resümiert Hönekopp. Mit 24 Prozent weisen dabei die Türken die höchste Quote auf.

Das Problem wird sich nach Hönekopps Berechnungen in den nächsten Jahren noch verschärfen. Obwohl der Saldo von Zu- und Abwanderung ausgeglichen ist, der Ausländeranteil also unverändert bleibt, werden wesentlich mehr junge Nichtdeutsche eine Arbeit oder eine Lehrstelle suchen, als ausländische Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Der Grund ist einfach: Die Altersgruppen der unter 15-Jährigen sind bei den Ausländern anteilsmäßig weitaus stärker besetzt als bei der Gesamtbevölkerung. So ist im Durchschnitt nur jeder Sechste unter 15 Jahre alt, bei den Nichtdeutschen aber jeder Fünfte, bei den Türken sogar mehr als jeder Vierte. Daran wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren nichts ändern, da sich auch bei den unter 6-Jährigen die Anteile entsprechend unterscheiden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die eher einfachen Tätigkeiten im produzierenden Bereich auch künftig weiter abgebaut werden. In dem Bereich also, in dem bislang Ausländer aufgrund ihrer geringeren Qualifikation überwiegend beschäftigt waren. Weiterhin Zuwächse verzeichnen werden nur die sekundären Dienstleistungen wie Beratung, Organisation, Management, Forschung und Entwicklung, die hohe Qualifikationen erfordern. Diese Entwicklung zeigt bereits jetzt schon Folgen. Hatte 1982 die Erwerbsbeteiligung aller ausländischen Nationalitäten noch über der deutschen gelegen, liegt sie jetzt um 10 Prozentpunkte darunter. Weniger als die Hälfte aller in Deutschland lebenden Türken im erwerbsfähigen Alter ist derzeit abhängig oder selbstständig erwerbstätig.

Da der Anteil von Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau bei Ausländern noch immer mehr als doppelt so hoch wie bei Deutschen liegt, geht die steigende Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften an den Nichtdeutschen vorbei. An der Gesamtsituation ändert auch der steigende Anteil selbstständiger Ausländer nichts. Die Selbstständigenquote hinkt noch immer dem Durchschnitt hinterher, zudem ist der Anteil an Gaststätten und Gemüseläden überproportional hoch. Arbeitsmarktforscher Hönekopp spricht von einer „riskanten Ausweichreaktion auf die Arbeitslosigkeitssituation“, denn die Lebensdauer der kleinen Unternehmen sei in der Regel gering. Nicht selten würden die eigenen Kinder ohne die Möglichkeit für eine berufliche Ausbildung beschäftigt. „Kurzfristig ist vielleicht für die Kinder gesorgt, ihre Zukunftsperspektiven werden aber eher negativ beeinflusst werden.“

Das Fazit der aktuellen IAB-Studie ist klar: Es bedarf „erheblicher bildungspolitischer Anstrengungen, um die Arbeitsmarktchancen der jugendlichen Ausländer zu verbessern“. Bleiben die aus, dann werde sich, so Hönekopp, die Problematik auf dem Arbeitsmarkt „für die nächsten Generationen fortschreiben“. Dass die derzeitige Entwicklung hinsichtlich der Qualifikation junger Ausländer nicht gerade rosig ausschaut, darauf hat bereits das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hingewiesen. Demnach hat sich die Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher ins Bildungssystem und in die berufliche Ausbildung „eher wieder verschlechtert“. „Wenn man an allen Ecken und Enden spart, ist das kein Wunder“, betont Hönekopp. Er fordert geringere Klassenfrequenzen, verstärkte Weiterbildungsmöglichkeiten und mehr speziell qualifiziertes Lehrpersonal.

Der Arbeitsmarktforscher rät der deutsche Wirtschaft, das „tendenziell zweisprachige“ Potenzial zu nutzen, denn künftig würden zunehmend auch andere als die Standardsprachen Englisch, Französisch und Spanisch benötigt. Zudem würden die Konflikte, die daraus entstehen, „dass ganze Bevölkerungsgruppen existenziell noch weiter an den Rand gedrängt werden, letztlich teurer werden als die Investitionen, die unter anderem für das Bildungssystem erforderlich“ wären.