Wenn aus Schweben Fliegen wird

Zeppelinheim – einst erbaut für die Arbeiter der Luftschiffwerke. Zeppelinheim – bald evakuiert für den Ausbau des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens? Ein Ort, gewachsen mit dem Lärm, zerstört durch den Lärm ■ Von Heide Platen

Elisabeth Kötter: „Irgendwie sind wir ja mit dem Lärm gewachsen. Wir wissen, dass wir immer von und mit der Technik gelebt haben.“

Ein aristokratisches Gesicht, hohe Wangenknochen, energisches Kinn, eine schmale Nase. An der hängt ganz unwürdig ein Tropfen. Wasser rinnt wie Tränen über das starre Bronzegesicht des Luftfahrtkapitäns Hans von Schiller. Seine Zeit ist vorbei, die Büste steht vor dem Museum im Februarregen. Dessen Dach schwingt sich im Viertelrund auf den Stahlrohrträgern futuristisch über die helle Ausstellungshalle – und ist doch nostalgisch einem fast vergessenen Verkehrsmittel, dem Zeppelin, nachempfunden.

Von Schiller steuerte die stillen Riesen durch die Luft. Und er war der erste Bürgermeister der Gemeinde Zeppelinheim am Rande des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens. Der Ort hat seine Eigenständigkeit verloren und gehört heute zur Gemeinde Neu-Isenburg. Kein Luftschiffhafen, keine Zeppeline mehr, jetzt dröhnen Jumbos über dem zwischen Eisen- und Autobahn, Bundesstraße 44 und Airport gefangenen Stadtteil. Museumsleiterin Elisabeth Kötter lauscht nach allen Seiten und nach oben und hört: „Es ist wie immer. Eine ständige Lärmglocke. Hier ist nie Stille.“ Sie neigt zum Positiven: „Irgendwie sind wir ja mit dem Lärm gewachsen.“

Zeppelinheim ist 1936 als Werkssiedlung für die Angestellten der Zeppelin-Reederei auf dem Reißbrett entstanden. Und wird vielleicht wieder verschwinden. Sollte die Start- und Landebahn Süd zur Erweiterung des Flughafens gebaut werden, müsste der Ort, der seine Entstehung der Luftschifffahrt verdankt, ihr auch zum Opfer fallen. Er wäre, überflogen in knapp 140 Meter Höhe, unbewohnbar.

Elisabeth Kötter ist 76 Jahre alt. Sie leitet das Museum und die Zeppelin-Kameradschaft – seit zwölf Jahren. Sie hat sie alle gekannt, die Luftfahrtpioniere in ihren blauen Uniformen mit den goldenen Tressen. Auch „den Grafen“, Graf Ferdinand von Zeppelin, der sein gesamtes Vermögen in seinen Traum von der Luftfahrt steckte. Ihr Vater, Karl Rösch, war sein Chefingenieur. Mit ihm kam sie 1937 vom Stammsitz der Firma in Friedrichshafen am Bodensee nach Hessen.

Anfangs sei es schwer für sie gewesen, aber dann habe sie Frankfurt lieben gelernt. Eigentlich will sie nicht, dass ihre zweite Heimat untergeht, will im Ort bleiben, aber eine Kämpferin gegen den Fortschritt ist sie nicht: „Wir wissen, dass wir immer von und mit der Technik gelebt haben.“

Und wie! Elisabeth Kötters braune Augen blinken. Zwei Jahre lang lebte sie mit ihren Eltern in Brasilien, als der Vater den Aufbau eines Flughafens in Rio de Janeiro leitete. Wunderschön war es da. Und noch schöner oben in der Luft.

Schon als Kind durfte sie mitfahren, fahren wohlgemerkt: „Luftschiffe fliegen nicht, sie fahren!“ Die meisten Kapitäne, die bei Graf Zeppelin anheuerten, waren aus der christlichen See- zur Luftschiffahrt gewechselt. Sie steuerten die silbernen, mit Wasserstoff oder Helium gefüllten Leichtbaufahrzeuge nur wenige hundert Meter über dem Boden über die Schweiz oder den Rhein entlang, später über den Atlantik. Zuerst beförderten sie Post und Fracht, dann ab 1931 Passagiere im Linienverkehr. Wunderschön sei es da oben in der Luft gewesen, die Menschen und Häuser wie Spielzeug, das sehe sie noch heute vor ihrem inneren Auge, sagt Elisabeth Kötter. „Die Flusstäler, die Schlösser, die Berge, der Genfer See. Wir haben geguckt und geguckt und geguckt!“ Vier Stunden Flugzeit kosteten 200 Mark. Viele Prominente flogen mit in den luxuriösen Kabinen: „Das war Flanieren durch die Luft.“ Eine wahre Zeppelineuphorie erfasste das Land. An den Routen und Landeplätzen standen Menschenmassen, jubelten und winkten. Zeppeline zierten Geschirr und Ansichtskarten, kamen als Kunstgewerbe und Kitsch auf den Markt, aus Marzipan und als Konfekt.

Und als Stopfei. Das liegt nun bei Elisabeth Kötter. Die LZ 5 war 1909 auf der Schwäbischen Alb mit einem Birnbaum kollidiert: „Der Kapitän war eingenickt.“ Aus dem Holz des Baumes ließ ein findiger Bauer Nussknacker, Korkenzieher und Stopfeier schnitzen und verkaufte sie als Souvenirs. Härter hatte den Grafen zuvor der Verlust der LZ 4 getroffen, die beim ersten Versuch einer 24-Stunden-Fahrt 1908 havarierte. Sie musste bei Echterdingen notlanden. Windböen rissen sie aus der provisorischen Verankerung. Sie streifte einige Baumkronen und verbrannte. Auch die Reste der LZ 4 stehen heute als Museumsstücke in Elisabeth Kötters Vitrinen. Sie wurden nach dem Abwracken zu Gebrauchsgegenständen umgeschmolzen, zu Tabletts oder zu Sektkühlern.

Nach dem Unglück war nicht nur der Zeppelin, sondern auch der Graf abgebrannt. Der Probeflug hatte ihm eigentlich die finanzielle Unterstützung der Berliner Reichsregierung sichern sollen. Stattdessen half ihm nun die Bevölkerung, Pasagiere sammelten schon am Unfallort Geld. Die ganze Nation verehrte ihn. Rückschläge und Unfälle lösten beispiellose, patriotische Sammel- und Unterstützungsaktionen aus. Das Deutsche Reich zahlte später und benutzte Zeppeline im Ersten Weltkrieg als Waffe gegen England.

Die Katastrophe und das Aus für die Luftschifffahrt kamen am 6. Mai 1937. Die wasserstoffgefüllte LZ 129 „Hindenburg“ explodierte in der Luft über dem US-amerikanischen Flughafen Lakehurst. 36 Menschen starben in den Flammen, 62 Menschen konnten sich retten. Die Zeppeline fielen im Dritten Reich aber auch in Ungnade, weil die USA der Hauptlieferant des sichereren Treibgases Helium waren. Hitler und sein Reichsmarschall und Luftfahrtminister Göring wollten sie nicht einmal als Kriegswaffe. Sie setzten auf Flugzeuge. Göring besichtigte die Zeppeline zwar, fürchtete sich aber, sie auch nur zu betreten. Die letzten beiden Luftschiffe wurden 1940 auf seinen Befehl hin abgewrackt, die Luftschiffhallen in Frankfurt gesprengt, der Landeplatz zum Fliegerhorst für die Luftwaffe. Nach dem Zweiten Weltkrieg richteten die Amerikaner ihre Airbase auf Rhein-Main ein und besetzten die Wohnhäuser in Zeppelinheim für zehn Jahre. Dann erst durften die Kötters und die anderen Familien der alten Luftfahrer wieder zurückkehren. Sie bauten die in nationalsozialistisch-schlichter Siedlungsarchitektur gebauten Häuser um, setzten Anbauten, Terrassen und Erker davor und vermieteten an Flughafenpersonal. Klaglos ertrugen die rund 1.600 Einwohner das immer dichtere Verkehrsaufkommen, den wachsenden Fluglärm, wurden mit ihm alt. „Ich bin keine Technikfeindin“, sagt Elisabeth Kötter noch einmal. Weder sie noch ihre beiden Kinder waren bei den Demonstrationen gegen die Startbahn West dabei. Das ist nicht ihre Art. Und jetzt? Wird sie jetzt protestieren? „Schade“ wäre es, wegziehen zu müssen, antwortet Elisabeth Kötter. Was soll man auch antworten, wenn das, was einst den Ort hat entstehen lassen, ihn nun zu zerstören droht?

Schade vor allem, nachdem es nach dem Bau der Startbahn West und dem Abzug der U.S. Airforce „viel ruhiger“ im Ort geworden sei und die Grundstückspreise in der ehemals guten Wohngegend wieder gestiegen sind. In den Ortsteil, von dem Spötter sagen, dass da sowieso nur noch schwerhörige Rentner wohnen, sind wieder junge Leute mit Kindern gezogen, Firmen haben sich angesiedelt. Aber Zeppelinheim ist ein Ort geblieben, in dem die Hausfrauen in Pantoffeln über die Straße gehen. Die Welt ist rundherum zwar laut, aber in Ordnung. Der kleine Lebensmittelladen lässt seine Waren auch in der Mittagspause getrost vor der Türe stehen. Eine Idylle unter der Lärmglocke.

Elisabeth Kötter, einst Chemielaborantin bei Hoechst, geht im Frühjahr auch als Museumsleiterin in den Ruhestand. Dass sie ihn genießen kann, glaubt sie nicht mehr so recht. Sie misstraut dem Sprecher der Flughafen AG, Klaus Busch, der Pläne zum Bau einer Start- und Landebahn im Süden heftig dementiert hatte: „Warum schreit der so? Je lauter dementiert wird, desto sicherer kommt es nachher doch.“

Der Meinung ist auch der Neu-Isenburger Bürgermeister Oliver Quilling. In den betroffenen Gemeinden von Offenbach bis Bischofsheim formiert sich der Widerstand. Der CDU-Mann Quilling ist einer ihrer Wortführer, obwohl er eigentlich kein Flughafengegner ist: „Ich bin den BürgerInnen verpflichtet.“ Der Fluglärm habe sich seit 1984 fast verdoppelt: „Wie viel kann der Region noch zugemutet werden?“, fragt er und antwortet: „Die Südbahn wäre für uns der Super-GAU. Die Stadt würde mittig überflogen.“ Außerdem seien in der Region 85.000 Menschen betroffen, würde im Norden ausgebaut, nur 20.000. Zeppelinheim wäre nicht mehr bewohnbar, Grundschule und Kindergarten müssten schließen. „Das sind gewachsene Strukturen. Die Bewohner hängen an ihrem Ort“, sagt Bürgermeister Quilling und diktiert zum Mitschreiben: „Der Ausbau in Süden ist der Ausbau der Unmenschlichkeit.“

Quilling war Mitglied der Mediationsgruppe. Er wirft den drei Mediatoren eigenmächtiges Handeln vor, weil sie Anfang Februar der Südbahn Priorität eingeräumt hatten. Nun sei die Unruhe im Ort groß, sagt Quilling. Demonstrationen wie zu Startbahnzeiten will er vorsichtshalber nicht ausschließen. Er aber hat sich auf einen langen, juristischen „Kampf der Aktenordner“ eingestellt. Eigentlich, sagt er, „vertraue ich Ministerpräsident Koch und setze auf die Vernunft der Flughafenbetreiber“. Alle Zahlen, meint Bürgermeister Quilling, sprächen für die Nordvariante. Aber Vorsicht ist besser: „Wir wahren unsere Rechte.“ Deshalb hat die Gemeinde, wie andere in der Region auch, Rücklagen gebildet, um prozessieren zu können, wenn Protest nichts mehr nützt.

Manche Zeppelinheimer wollen den Ort, egal, was immer kommen mag, nicht verlassen. Elisabeth Kötter weiß, dass beim Bau der Südbahn niemand bleiben kann. Was aber wird werden? Wird Zeppelinheim geräumt, werden die Menschen abgefunden? Wie lange wird das dauern, wird sie es noch betreffen oder erst ihre Erben? Sie wird abwarten, vielleicht doch an den Bodensee zurückkehren. „Das Schlimmste“, sagt sie, „das ist die Ungewissheit. Jetzt stagniert alles.“