Schulkampf, erste Runde

Per Volksbegehren soll in Bayern eine Schulreform durchgesetzt werden – zum großen Ärger der CSU ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Der Wirtschaftsstandort Bayern ist in Gefahr, befürchtet Ministerpräsident Edmund Stoiber. Grund seiner Sorge ist eine Auseinandersetzung, die von Kultusministerin Monika Hohlmeier gar zum „Schulkampf“ hochstilisiert wurde. Sollte diese verloren gehen, sieht Stoiber schwarz.

Deshalb hat Stoibers CSU landesweit ihr Motto „Für unsere Kinder das Beste – Bildungsoffensive Bayern“ plakatiert, um das heute startende Volksbegehren „Die bessere Schulreform“ ins Leere laufen zu lassen. Tragen sich aber 880.000 BürgerInnen, also zehn Prozent der wahlberechtigten Bayern, binner zweier Wochen in die Unterschriftenlisten ein, dann wird noch vor den Sommerferien das bayerische Volk über das freistaatliche Bildungswesen entscheiden.

Im Kern der Auseinandersetzung steht die von der bayerischen Staatsregierung favorisierte sechsstufige Realschule (R6). Sie soll mit einem Kostenaufwand von rund einer halben Milliarde Mark von der seit 1992 erprobten Versuchsschule zur Regelschule ausgebaut werden und das streng dreigliedrige Schulwesen in Bayern zementieren. Im zarten Alter von zehn Jahren entscheidet sich dann im Wesentlichen die Schullaufbahn eines Kindes, denn nach Ende der vierten Klasse Grundschule trennen sich die Wege in Gymnasium, Realschule und Hauptschule – je nach Notendurchschnitt.

Dass nur noch Österreich und einige Kantone in der Schweiz die Weichen für Gymnasium und akademische Laufbahn derart früh stellen, ist dabei gewollt. Alles andere sei „Gleichmacherei, mit der wir unseren Kindern nur die Zukunftschancen“ nähmen, betont Peter Miller, Sprecher des Aktionsbündnisses „Beste Bildung für die Zukunft“. Zusammengetrommelt von Kultusministerin Hohlmeier, haben sich darin unter anderem der Bayerische Philologenverband, die Landeselternvereinigung der Gymnasien, das Katholische Schulwerk und die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft eingefunden, um das Volksbegehren zu Fall zu bringen. Sie nennen es eine „Riesen-Mogelpackung“ und warnen vor einem „dramatischen Niveau- und Substanzverlust“ in den Gymnasien. Die frühe Auslese sei dagegen ein „begabungsgerechtes Schulangebot“.

Ein besonderer Dorn im Auge ist ihnen dabei die so genannte „Aufbaustufe“ in der 5. und 6. Klasse, die die Initiatoren des Volksbegehrens der R6 entgegensetzen. Etwa 40 Organisationen, allen voran der Lehrer- und Lehrerinnenverband, SPD, Grüne, Gewerkschaften und der Elternverband Bayerns, wollen damit den „Auslesedruck an den Grundschulen entschärfen“ und „Spätentwicklern eine Chance“ geben. Sie verweisen darauf, dass das bayerische Schulwesen bundesweit nicht nur die zweithöchste Durchfaller-Quote, sondern auch mit 19,3 Prozent die niedrigste Abiturienten-Quote produziere. Vergleichbar mit der Orientierungsstufe in anderen Bundesländern wollen sie eine „Aufbaustufe“ etablieren. Sie soll allen offenstehen, die nicht schon nach der 4. Klasse ins Gymnasium wechseln, und die Kinder in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathematik besonders fördern. Nach der Aufbaustufe steht dann der Übertritt in die Hauptschule, in die Realschule oder, mit einer „zweiten Chance“, aufs Gymnasium an.

„Völlig unmöglich“, finden das die Gegner, wie etwa Philologenchef Rainer Rupp. Nach den ersten beiden Jahren Gymnasium seien die Oberschüler vom Leistungsstand her uneinholbar enteilt. Er wittert hinter den Plänen des Volksbegehrens den Versuch, die Gesamtschule durch die Hintertüre einführen zu wollen. Dass Volksentscheide in Bayern für die Wähler willkommene Gelegenheiten sind, der schier allmächtigen CSU ein paar Nadelstiche zu versetzen, bewiesen die letzten beiden erfolgreichen Volksentscheide zur Abschaffung des Senats und zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids. Kultusministerin Hohlmeier baut denn auch vor und verkündet, bei einer Niederlage nicht „in Verzweiflung ausbrechen und zurücktreten“ zu wollen. Sie will stattdessen ihre Pläne einer „individualisierten Grundschulzeit“ vorantreiben. Begabte Kinder sollen dann den Stoff der ersten beiden Klassen in nur einem Jahr bewältigen und nach nur drei Jahren Grundschule ans Gymnasium wechseln können. Andere hätten dafür bis zu fünf Jahre Zeit.