„Das hat schon einen kolonialen Touch“

■ Die Bremer Politik drängt auf einen baldigen Ausbau des Containerterminals in Bremerhaven – allen voran Bürgermeister Henning Scherf (SPD) / Die taz sprach mit einem betroffenen Anwohner

Die Aussagen von Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) über den drängenden Ausbau des Containerterminals 4 vor Weddewarden bei der Eiswette schlägt auch in Bremerhaven Wellen. Was die Weddewardener dazu denken, sagt Ulf Jacobsen von der „Bürgergemeinschaft“, die seit 20 Jahren gegen den Ausbau der Containerterminals an der Wesermünung angeht, im taz-Gespräch.

taz: Bürgermeister Scherf hat jetzt gesagt: „Wir wollen zeigen – die Bremerhavener wissen das noch nicht alle, darum müssen wir Bremer das immer wieder laut sagen – dass es da draußen vor der Küste mit vereinten Kräften ganz große Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Gehören Sie zu den begriffsstutzigen Bremerhavenern, die vom Wirtschaftswachstum nichts verstehen und nur aus der Froschperspektive von Umweltschützern argumentieren, dass das Containerterminal 4 nicht gebaut werden soll?

Ulf Jacobsen: So muss es wohl aussehen. Ich kann nur sagen, wir waren höchstens zu blöd, nicht schon viel früher richtig Krach zu schlagen: Aber jetzt wird es wohl Zeit, nachdem das Trommeln aus Bremen und Bremerhaven kein Ende nimmt. Tatsache ist, wir haben noch mehr Gründe ...

Dann gehören Sie wohl zu den Kandidaten, die Scherf ausgemacht hat, „die mit ihren Bauernhäusern – die machen ja gar keine Bauernwirtschaft mehr – mit ihren Wochenendsiedlungen Seeblick fordern“?

Nein, zu denen gehöre ich wirklich nicht ...

... weil Sie keinen Seeblick haben. Ihr Haus liegt weiter hinten.

Das ist das Eine. Aber Spaß beiseite – es ist natürlich so, dass Weddewarden ein fast normaler Stadtteil Bremerhavens ist. Es war mal ein Bauerndorf – die älteste Gemeinde im Land Wursten übrigens, 900 Jahre alt. Hier leben noch zwei Vollerwerbslandwirte.

Aber Sie sind doch Ingenieur und wollen da ruhig im Grünen leben.

Ich bin Bewohner eines Stadtteils und habe als solcher auch das Recht, hier ruhig zu schlafen.

Auf Kosten der „ganz großen Entwicklungsmöglichkeiten“? Bürgermeister Henning Scherf sagt, „davon lebt das Land Bremen“.

Das Ganze hat schon einen kolonialen Touch – der an dieser Stelle besonders deutlich wird. Die Häfen sind tatsächlich stadtbremisches Gebiet – davon profitiert wirklich Bremen und nicht Bremerhaven.

Sie gehören scheinbar wirklich zu den unbelehrbaren Bremerhavenern. Müssten Sie sonst nicht zugeben, dass das Containerterminal gut ist für die Allgemeinheit und neue Arbeitsplätze.

Ja, das hört sich prima an. Allerdings geht am Containerterminal tatsächlich „die Post ab“, wie Herr Scherf sich ausdrückt. Es gibt große Zuwächse – allerdings mit einer Kapazität die weit über dem liegt, was man im Moment braucht. Nur an zwei Tagen pro Woche ist eine gewisse Auslastung gegeben, sonst sind es höchstens 30 Prozent, das weiß jeder. Aber die Philosophie ist, dass eine Kapazität vorgehalten werden soll, die es Reedern jederzeit ermöglicht, einen freien Liegeplatz zu finden. Das wäre, als wenn eine Autobahnraststätte so konzipiert würde, als müsste man den Ansturm in den Sommerferien immer bewältigen. Da würde jeder Unternehmer Pleite gehen. Aber der Hafen gehört ja dem Staat, den müssen die Betreiber nicht bezahlen. Deshalb kann man diese Philosophie verfolgen. Wir würden Herrn Scherf gerne mal hier begrüßen.

In Ihrer „Wochenendsiedlung mit Seeblick“?

Dann kann er sich davon überzeugen, dass wir ein Dorf sind, das bedroht ist. Ein Wohnort, dem es an die Substanz geht. Die Lebensqualität, die man ja in jedem Stadtteil verlangen darf, ist bedroht – vor allem durch die Lärmemissionen. Das beweist auch die Lärmmessstelle, die wir mal in einem Vergleich im Normenkontrollverfahren zum CT3 erstritten haben. Die Messungen ergeben, dass die Lärmgrenzwerte oft überschritten werden.

Bremerhavens Oberbürgermeister will das CT4 auch möglichst schnell. Wäre es nicht besser, schon mal die Sachen zu packen – oder haben Sie auch Fürsprecher?

Nun, das laute Getrommel kommt ja meist von Politikern, die in der Sache nicht so firm sind. Erstaunlicherweise ist man beim Hafensenator klug genug, genau hinzuschauen. Dort macht man jetzt erstmals eine Kosten-Nutzen-Analyse. Die könnte zeigen, dass die eineinhalb Milliarden, die da verbuddelt werden sollen, sich vielleicht gar nicht rechnen. Die einzigen, die davon Nutzen haben, sind die Umschlagsfirmen.

Glauben Sie nicht an Arbeitsplätze?

Ach, schon beim CT3 hat man uns 700 Arbeitsplätze versprochen. Über die Jahre hat man die Arbeitsplätze, die schon da waren, mit Mühe gehalten. Hintergrund ist natürlich die enorme Rationalisierung. Ein neuer Terminal würde noch moderner. Das Arbeitsplatzargument halte ich für Propaganda.

In Weddewarden ist das erste Haus vorne am Deich, das direkt am CT4 liegen würde, schon verkauft ...

Das ist das Traurige. Die Leute sind verunsichert, manche haben Zukunftsangst, andere sind alt und geben, solange sie noch können, lieber jetzt schon den Alterssitz auf....

Was machen Sie, wenn das CT4 kommt?

Ich möchte mir das noch nicht vorstellen. Es wird noch ein langes Verfahren geben.

Welche Rolle wird der Naturschutz spielen?

Eine sehr große. Für das Weddewardener Deichvorland gibt es einen Entwurf zur Unter-Naturschutz-Stellung. Der BUND hat es auch in seiner Schattenliste nach der FFH-Regelung an die EU gemeldet. Das Gebiet ist sehr wertvoll – immerhin wurde es als Ausgleichsgebiet für das CT3 vor ein paar Jahren für zweieinhalb Millionen Mark aufgewertet.

Trotzdem wird ja geplant.

Das Amt hat auch die Aufgabe, Alternativen zu prüfen. Das könnte Luneort sein, wo es noch große Flächen ohne Anwohner gibt. Alternativen sind auch in Wilhelmshaven – wo Schiffe mit 18 Metern Tiefgang anlegen können, was in Bremerhaven schon nicht mehr geht: Das ist eine wichtige Alternative – dieses Dreieck, das sich in Bremerhaven, Wilhelmshaven und Cuxhaven bietet. In seiner Ausdehnung ist das kleiner als der Rotterdamer Hafen.

Sie sind erstaunlich sachlich – angesichts von Scherfs Polemik.

Es stimmt, die Äußerungen haben eine neue Qualität – auch die Diffamierung gegen uns – während das Landesamt noch die Alternativen prüft. Aber wir haben uns bislang bemüht deutlich zu machen, dass wir mit dem Hafen leben wollen – er ist der Wirtschaftsfaktor. Wenn das Terminal allerdings direkt vor Weddewarden gebaut wird, dann werden wir nicht ruhig bleiben können.

Fragen: Eva Rhode