Ein Kuss auf der Straße ist noch erlaubt

Künftig soll in Polen ein totales Pornoverbot gelten. Die katholische Kirche sieht darin einen Schritt in Richtung Zivilisation

Warschau (taz) – Die polnischen Abgeordneten blätterten mit roten Ohren in den neuesten Pornoheften. Sex auf fast jeder Seite. Nackte Frauen, nackte Männer, dazu eindeutige Annoncen.

Das soll es künftig nicht mehr geben. Nach dem Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, hat nun auch die zweite Kammer des Parlaments, der Senat, dem totalen Pornografieverbot in Polen zugestimmt. Die vorgesehenen Strafen sind drastisch: Bis zu zehn Jahre Haft drohen demjenigen, der es wagt – so steht es wörtlich im Gesetz – „Geschlechtsorgane beim Sexualverkehr“ zu zeigen. Für die Verbreitung pornografischer Zeitschriften, Bücher und anderer Medien können die Richter künftig bis zu zwei Jahre Gefängnis verhängen.

Immerhin hat der Senat das Umarmen und Küssen in der Öffentlichkeit aus dem Strafkatalog gestrichen. Die Sejm-Abgeordneten hatten dieses „öffentliche Zuschaustellen einer sexuellen Handlung vor Kindern“ ebenfalls mit einer Gefängnisstrafe ahnden wollen. Das Gesetz wurde mit nur einer Stimme Mehrheit verabschiedet, jetzt muss es noch von Staatspräsident Aleksander Kwasniewski geprüft und unterzeichnet werden.

Womöglich wird sich dann erweisen, dass das neue Gesetz gar nicht das verbietet, was es eigentlich verbieten soll. Denn das Bild, das die meisten Abgeordneten und Senatoren überzeugt hatte, zeigt die drastische Aufnahme einer gerade vergewaltigten Frau. Blutend liegt sie auf dem Boden, die Beine verdreht, das Gesicht mit Tränen und Dreck verschmiert. In einem Gerichtsverfahren war die Zeitung, die dieses Bild veröffentlicht hatte, freigesprochen worden. Das Foto sei nicht pornografisch, hatte der Richter erläutert. Vielmehr zeige das Bild eine Vergewaltigung. Dies sei nicht verboten.

Überall in Polen füchten nun die Sexshop-Besitzer, dass Präsident Kwasniewski seine Unterschrift unter das verschärfte Pornoverbot setzen könnte. Bislang war nur die so genannte „harte Pornografie“ mit Kindern, Tieren oder in Verbindung mit Gewalt verboten; außerdem das Zurschaustellen nackter Personen, da dies das religiös-sittliche Empfinden vieler Polen verletzen würde. Seit gut zwei Jahren werden daher Titelbilder barbusiger Damen mit einem weißen Blatt abgedeckt und die Zeitschrift mit Folie verschweißt.

Das drohende Pornoverbot hat die Nachfrage nach Sexpostillen in die Höhe schnellen lassen. Bevor sie vom Markt verschwinden, scheint sich jeder noch schnell mit der künftig verbotenen Ware eindecken zu wollen. Viele Kioske, die normalerweise nur Zigaretten, Zeitungen und Waschpulver anbieten, habe Stöße von Playstar, Hustler, Rendevous im Dunkeln und Sexsternchen gehortet. Die eigentlichen Sexshops hingegen machen großen Ausverkauf und werben mit „Künftig verboten!“

In Warschau scheint der Stadtrat über ein Rotlichtviertel nachzudenken. Zur Zeit nämlich sei die Hauptstadt Polens, so drückte es einer der Räte aus, ein „einziges Freudenhaus“. Alles, was auch nur entfernt mit Sex zu tun hat, soll künftig aus der Innenstadt verbannt werden.

Was jedoch weder den Abgeordneten noch den Stadträten klar zu sein scheint, sind die Konsequenzen für Museen und Galerien. Auch sie müssten – bei einem totalen Pornoverbot – gesäubert werden. Antike Vasen, auf denen es Sagengestalten fröhlich miteinander treiben, müssten in den Keller verbannt werden, die erotischen Sammlungen aus China und Japan dürften nicht mehr gezeigt werden, und selbst von modernen Malern wie Picasso oder dem polnischen Avantgardezeichner Mleczko dürften nur noch die harmlosen Bilder gezeigt werden.

Auch die Kino- und Fernsehfilme müssten zensiert werden. Jede Liebesszene, die ein bisschen zu viel nackte Haut zeigt, würde der Schere zum Opfer fallen. Und die Aufklärungsbücher, die gerade an die Schüler ausgeteilt wurden, müssten wieder eingezogen werden.

Polen – ein Land ohne Sex?

Die katholische Kirche hat das verschärfte Pornografieverbot bereits begrüßt. Primas Jozef Glemp, das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, meinte: „Die Einschränkung einer weiteren Verbreitung von Pornografie ist ein Schritt auf dem Weg in die Zivilisation. Die Pornografie erniedrigt den Menschen, weil sie enthüllt, was geschützt werden soll.“Gabriele Lesser