Im Land der Anderkonten

Ob sozialistisch oder kapitalistisch – in Albanien ist die Korruption das allgemeine Ordnungsprinzip. Wenn da ein Minister rumschnüffelt, fliegt er und sagt: „Ich stand offenbar irgendwelchen Interessen im Wege“ ■ Aus Tirana Thomas Schmid

Der albanische Zöllner am Hafen von Durrës, wo die Schiffe aus Italien anlanden, ist bescheiden. Die grüne Versicherungskarte fürs Auto ist am 31. Dezember abgelaufen – aber für 30 Dollar bietet er eine neue an. Doch eine Quittung für den Betrag auszustellen, weigert er sich. Schließlich lässt er sich auf 10 Dollar herunterhandeln. Sein Freund, der auf dem von Soldaten abgesperrten Abfertigungsgelände eigentlich nichts zu suchen hat, füllt ungefragt das Einreiseformular aus und verlangt für den „Service“ ebenfalls 10 Dollar. Wer darauf besteht, das Blatt selbst auszufüllen, riskiert einige Stunden Wartezeit.

Ein Halbwüchsiger klopft an die Fensterscheibe und will geschmuggelte Zigaretten verkaufen. Ein Teil des Gewinns geht an den Beamten, der ihn aufs Gelände vorgelassen hat. Mit ein wenig Bakschisch schafft man die vier Kontrollen in einer halben Stunde. Das durchschnittliche Monatsgehalt eines Zöllners beträgt umgerechnet 120 Franken (140 Mark). Also weicht der Ärger dem Verständnis für die Alltagsnöte der Beamten.

Es gibt in Albanien auch die Korruption großen Kalibers. Im vergangenen Sommer gab der Hafenmeister von Durrës zu, die Kontrolle über sein Revier verloren zu haben. Jeden Tag komme es vor, gestand er, dass Schmuggler ihre Schiffe zu den Docks führen und seine Mannen mit Waffengewalt daran hinderten, ihre Arbeit zu tun. Schiffseigner begegneten den Vorwürfen mit der Erklärung, sie würden ihre Crew bewaffnen, damit sie sich gegen die Erpressung von Schmiergeldern durch die Polizisten wehren könnten. Wahrscheinlich ist, dass beide Seiten ein Geschäft machten – auf Kosten des Staates, der mindestens 40 Prozent seiner Einnahmen durch Zölle bestreitet. Seit August sichern Spezialtruppen der Armee den Hafen von Durrës.

Von der Korruption weiß jeder Albaner sein Lied zu singen. Und so begrüßten denn viele, dass Anfang November der Sozialist Ilir Meta, mit 30 Jahren der jüngste Ministerpräsident Europas, Zef Preci zu seinem Wirtschaftsminister machte. Der gehörte keiner Partei an, was seiner Glaubwürdigkeit zuträglich war. Und vor allem hatte er sich als Leiter eines Projekts zur Erforschung und Bekämpfung der Korruption einen Namen gemacht, das von der amerikanischen Entwicklungsagentur USAID und dem britisch-ungarischen Milliardär George Soros, Mäzen zahlreicher regierungsunabhängiger Projekte auf dem ganzen Balkan, finanziert wurde und unter der Ägide der Weltbank stand. Und bei jeder Gelegenheit geißelte der frischgebackene Minister nun die Korruption, der er den erbarmungslosen Kampf ansagte.

So schlug denn am vergangenen Wochenende die Nachricht von der Entlassung Precis wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein. Die Begründung: Der Geschasste habe bei der Vergabe von Lizenzen für den Vertrieb von Benzin gesetzeswidrig einige Geschäftsleute begünstigt und andere benachteiligt. Der Premier, der gleichzeitig noch einen zweiten Minister feuerte, versprach, den Kampf gegen die Korruption bis zum Ende durchzufechten. „Es ist Zeit, auch Minister ins Gefängnis zu bringen“, kündigte er an, „wenn es in diesem Fall kein korrektes legales Verfahren gibt, kommt die Sache vors Parlament.“ Allzu viel Vertrauen in die Justiz hat der Regierungschef offenbar nicht.

„Ein bisschen Gewaltenteilung gibt es inzwischen in Albanien“, meint der Ex-Minister im Gespräch cool. Einen Prozess fürchtet er nicht. Doch sitzt ihm der Schock noch tief in den Knochen. Drei Tage, bevor er gefeuert wurde, habe er mit Meta noch ein herzliches Gespräch geführt. Am Montag seien dann vier Männer zu ihm ins Büro gekommen, um auf Anweisung des Premiers, ohne jede richterliche Befugnis, seine Akten mitzunehmen. Den illegalen Zugriff habe er gerade noch abwehren können. „Ich stand offenbar irgendwelchen Interessen im Wege“, meint Zef Preci. Wirtschaftlichen oder politischen? „So genau kann man das bei uns nie auseinanderhalten.“

Da die Privatisierung von Banken, Telekommunikation und Minen bevorsteht, ist es durchaus möglich, dass gewisse Kreise der Sozialistischen Partei in der Hoffnung auf Pfründen auf die Einsetzung eines weicheren Ministers gedrängt haben. Doch Preci, dessen Karriere so abrupt geknickt wurde, will sich an solchen Spekulationen nicht beteiligen. Er sagt nur: „Ich bin das schwarze Schaf, Opfer meines Idealismus.“

Und so gibt die Version des Ministerpräsidenten allen möglichen Gerüchten Nahrung. Viele Albaner wittern generell hinter allen politischen Entscheidungen irgendwelche unsichtbaren Drahtzieher. Auch dass der Wirtschaftsminister einem Konflikt zwischen griechischen und italienischen Interessen in Albanien zum Opfer gefallen ist, kann man immer wieder hören.

Und natürlich versucht der Oppositionsführer Sali Berisha – der Präsident war, bis seine Demokratische Partei nach den bewaffneten Unruhen 1997 die Wahlen haushoch verlor – Kapital aus der Affäre zu schlagen. Er spricht von einem Kampf zwischen Clans innerhalb des Kabinetts. Doch just zwei Tage nach der Entlassung der beiden Minister wurden die Albaner an die Zeiten erinnert, als sie unter Berishas korrupten Regime beim Zusammenbruch dubioser Finanzinstitute ihre Ersparnisse verloren: Am Mittwoch begann die staatliche Sparkasse mit der Auszahlung geringer Summen an die ersten geschädigten Personen.

Gewiss sehnt sich nur eine Minderheit der Albaner nach der Zeit Berishas zurück, als Partei und Staat wie zu Zeiten der stalinistischen Diktatur kaum mehr auseinanderzuhalten waren. Geschickt haben die Sozialisten, obwohl sie bei den letzten Wahlen eine absolute Mehrheit der Stimmen und fast zwei Drittel der Parlamentssitze errangen, drei kleinere Parteien und einige unabhängige Intellektuelle in die Regierungsverantwortung hineingezogen und stellten bis zur Kabinettsbildung vom Wochenende nicht einmal die Hälfte aller Minister. Doch könnte das jüngste Revirement darauf hindeuten, dass nun wieder eine härtere Linie gefahren wird und sich nun verstärkt die alten konservativen Sozialisten um Fatos Nano durchsetzen. Der war der letzte Ministerpräsident unter dem stalinistischen Regime, das 1991 abdankte.

Ilir Meta, der neue Ministerpräsident, der Zef Preci gefeuert hat, gilt als ein Mann Nanos. Und Nano steht wie Berisha für die alte politische Generation, die den Staat als Parteieigentum behandelt. Sollte sich diese Tendenz tatsächlich wieder durchsetzen, sind der grassierenden Korruption Tür und Tore geöffnet und die Kämpfer für einen sauberen Staat hätten in einem Land, in dem ein Minister gerade 1.100 Mark Monatslohn nach Hause bringt, schlechte Karten. Und so lange die oben absahnen, wird auch unser Zöllner in Durrës an seinen Gewohnheiten festhalten. Business as usual. Nachdem sie schon ihrer Ersparnisse verlustig gegangen sind, werden dann aber wohl auch die letzten Albaner die Hoffnung verlieren, dass sich in ihrem Land je etwas ändern ließe.