„Sie bestimmen, wo Sie kaufen“

Noran machte eine Lehre. Aber Noran ist Muslimin und trägt ein Kopftuch. Und das mochten die Kunden bei kaiser’s drugstore nicht. Noran musste gehen – nun rufen Studenten zum Boykott des Unternehmens auf ■ Aus München Irene Kleber

„Wir haben nicht generell etwas gegen Kopftücher,aber wir müssen standort-spezifisch reagieren“

Der Satz traf Noran hart und unerwartet, und er trieb ihr die Tränen ins Gesicht: „Wir übernehmen dich nicht, du hast nicht konzentriert genug gearbeitet.“ So sagte es die Ausbildungschefin der jungen Türkin in einer Münchner Filiale der Drogeriemarktkette kaiser’s drugstore – nur ein paar Tage vor Ende ihrer Probezeit als Auszubildende im Einzelhandel. Was tut eine 18-Jährige da? Heulend stürzt sie nach Hause. Gekündigt. Fristlos. „Aus, ich dachte, alles ist aus. Meine ganze Zukunft ist vorbei“, sagt Noran heute.

So weit eine normale Geschichte, hundert Mal passiert in Deutschland, hundert Mal mit Recht.

Hier liegt der Fall anders.

Denn Noran, türkische Staatsbürgerin, in München geboren, war noch kurz zuvor von ihrer Chefin als „sehr engagiert und fleißig“ gelobt worden. Auch ihre Berufsschulnoten, so sagt einer ihrer Lehrer, seien „absolut passabel“. Nichts habe darauf hingedeutet, „dass sie die Probezeit nicht schafft“. Der einzige Makel der jungen Muslimin: Sie trägt ein Kopftuch. Und sie hat sich geweigert, es nach Beschwerden von Kundinnen abzunehmen.

Es war ein Nein zu viel.

Noran sitzt auf ihrem Sofa in ihrer Einzimmerwohnung in München, schneidet ein paar Scheiben Kuchen ab. Gegenüber im Holzregal liegen Schminkpinsel und Wimperntusche, darüber eine Hand voll Kuscheltiere, eine Pinnwand ist vollgeklebt mit Postkarten aus der Türkei. Noran sieht nicht aus wie eine, die schnell heult: Zierlich ja, jünger auch als ihre 18 Jahre. Aber da sind die Augen. Groß, schwarz umrandet blicken sie forsch aus dem sehr hellen Gesicht. „Wie konnten die das tun?“, fragt Noran und reißt energisch die Arme in die Luft. „Diese Begründung – dass ich schlecht gearbeitet hätte, das ist doch alles eine große Lüge.“ Ende Oktober, knapp zwei Monate nachdem Noran und eine zweite Auszubildende mit Kopftuch ihre Lehrstellen in derselben Filiale angetreten hatten, fingen die ersten Sticheleien im Laden an. „Ist Ihnen nicht heiß“, nörgelten Kundinnen oder: „Haben Sie Ohrenschmerzen?“ Dann drangen Beschwerden ans Ohr des Arbeitgebers. „Zu exotisch“ sei diese Kopfbedeckung, hieß es. Man fühle sich „ja wie im Orient“, in so ein Geschäft wolle man „nicht so gern“ hineingehen. „Diese Leute sollten sich mal anpassen“, wetterte denn auch laut eine Stammkundin, „wir Deutschen müssen das im Urlaub auch.“

Das genügte. Zumindest wohl dem Unternehmen mit 114 Filialen in Südbayern und rund einem Drittel ausländischer Mitarbeiter. Gerade erst hatte kaiser’s drugstore die Filiale in Münchens Nobelviertel Schwabing auf das neue Dienstleistungskonzept „kd 2000“ umstellt, den Laden mit der neuen Farbe Purpurrot umgestaltet, den Slogan „Hier bin ich Kaiser“ ins Schaufenster gemalt. Optisch Unpassendes wollte man sich da nicht mehr leisten.

„Weg mit den Kopftüchern“, signalisierte denn die Geschäftsleitung, mit deutlichem Verweis auf die Probezeit der beiden Lehrmädchen. Und erwog intern, eine der beiden zu entlassen, die Zweite zu versetzen – ins ausländerreiche Viertel Milbertshofen, weiter im Norden der Stadt, wo kaum mit größeren Protesten zu rechnen sei. „Wir haben nicht generell etwas gegen Kopftücher, aber wir müssen standortspezifisch reagieren – auch zu Gunsten unserer Mitarbeiter“, erklärte ein kd-Sprecher, als die Geschichte publik wurde. Doch eilig pfiff den Sprecher dann der vorgesetzte Marketingchef zurück: „Die Mädchen werden wegen ihrer Kopftücher weder versetzt noch gekündigt.“

Was als geschäftsinterne Debatte begann, endete so im „Kopftuchstreit von Schwabing“. Zornig forderten liberale Schwabinger „Toleranz“ ein. Was wiederum die Gegenfraktion erboste. Dass der Streit am Ende auch Studentengruppen, Turkologen und Islamwissenschaftler der Münchner Universität erreichte – womit die Frage im Raum stand, was Noran denn in der Türkei machen würde, wo das Kopftuchtragen an Schulen und Universitäten per Gesetz verboten ist –, verwirrt das Mädchen nun vollends. „Ich will nur meine Ausbildung machen und dass man mich so lässt, wie ich bin. Jemand wie ich hat es ohnehin schwerer.“

Norans Eltern, beide aus streng religiösen Bauernfamilien, kamen aus dem anatolischen Städtchen Trabzon nach Deutschland. Die Tochter ging in die türkische Grundschule, sollte dann in eine deutsche Schule wechseln.

Das Kopftuch. „Ich habe inständig gebetet, dass meine Periode nicht so schnell kommt, damit ich noch kein Kopftuch tragen muss“, sagt Noran. Aber es kam dann doch: am Ende der Sommerferien, vor dem Wechsel in die deutsche Schule. Da war sie zwölf.

Das Kopftuch. Während alle anderen Mädchen Girlie-Frisuren trugen, sich die Haare raspelkurz schnitten, Miniröcke und bauchfreie Hosen trugen, verhüllte Noran ihr langes Haar, ging in langen Röcken zur Schule. Sie besuchte die islamische Moschee, lernte zu Hause, fünf Mal am Tag den Gebetsteppich in Richtung der heiligen Stadt Mekka auszubreiten und arabische Gebete aus dem Koran zu lesen.

Das Kopftuch. „Ich hatte Glück“, sagt Noran. „Keiner meiner Schulkameraden hat mich ausgelacht, ich hatte sogar sehr nette Freundinnen.“

Das Kopftuch verändere Menschen, sagt Noran. Vor allem sie selbst. „Man fühlt sich distanzierter von der Umwelt. Es erinnert mich daran, was ich nicht darf: Ich darf nicht in die Disco gehen, nicht spät nach Hause kommen, nicht im Bikini zum Baden gehen, Alkohol trinken. Ich fühle mich aber auch geschützter vor den Blicken der Männer. Die reagieren respektvoll, und das ist angenehm.“

Und dann ist da noch etwas: „Man hat mir von Klein auf gesagt, dass Allah mich straft, wenn ich das Kopftuch nicht trage. Er lässt mich auf einem glühenden Tisch beten und er verbrennt mich im Feuer. Davor habe ich panische Angst.“ Das Kopftuch verändert Menschen.

Mit 13 Jahren erlebt Noran das, was viele junge Türkinnen in Deutschland erleben: Der Vater, der plante, in die Türkei zurückzugehen, schickte sie für zwei Jahre nach Istanbul. Dort musste Noran sich an den seltsamen Zustand gewöhnen, an einem englischen College mit türkischen Mädchen, die fast alle aus Deutschland kamen, Deutsch zu reden. Und von Türken als „die Deutsche“ beschimpft zu werden, weil sie anders Türkisch sprach als die Türken. „Da war mir klar“, sagt sie, „dass ich überall fremd bin. Ich gehöre nicht in die Türkei und nach Deutschland auch nicht.“

Erst zur 9. Klasse kam Noran zurück, weil der Vater seine Pläne änderte. Sie machte den Hauptschulabschluss, eine berufsbildende Maßnahme beim Bayerischen Roten Kreuz und war überglücklich, als sie nach einem Praktikum in der kd-Filiale trotz ihres Kopftuchs die Lehrstelle bekam.

Ihre Leistungen müssen beeindruckend gewesen sein – in einem Protokoll über ein Gespräch mit Nurans Filialleiterin notierte der BRK-Betreuer: „Noran wird von Frau P. (Filialleiterin) für den Beruf als sehr gut geeignet beschrieben. Sie würde überraschend gut arbeiten, sei ruhig, hoch motiviert und ließe in ihrer Leistungsstärke über den Tag nie nach.“

Ein Protokoll, von dem das Unternehmen plötzlich nichts mehr wissen will. Ebensowenig wie von dem „Keine Kündigung, keine Versetzung“ des Marketingchefs: Am selben Tag, an dem Noran rausflog, verließ auch das zweite türkische Lehrmädchen samt Kopftuch die Schwabinger Filiale, wurde versetzt in den Münchner Norden. Offizielle Begründung: eine „Vakanz“ im dortigen Betrieb.

„Was soll ich mit meinen 18 Jahren gegen das Unternehmen kämpfen?“, fragt Noran. Sie lehnt sich zurück. „Ich habe doch überhaupt keine Chance.“

Ihre Pläne – erst Lehre, dann Mittlere Reife, Fachoberschule und schließlich Betriebswirtschaftsstudium – werden sich jetzt wohl noch etwas länger hinziehen.

Ein Jahr wird sich Noran „mit irgendwelchen Jobs“ über Wasser halten müssen, um die Kosten für Essen, Miete und Kleidung zu decken. Bis dahin wird hoffentlich ein Platz in der Kinderpflegeschule frei, in der sie nach einer Lehrstelle nachgefragt hat. „Dort wird mein Kopftuch wohl nicht stören.“

Für das Unternehmen kd liegt Norans Fall inzwischen in der Schublade. Laut Firmenchef „erledigt“.

Erledigt? Vielleicht ja nicht ganz, noch nicht: Neulich sind an der Universität in München kleine blaue Postkarten aufgetaucht, Absender unbekannt. Darauf steht: „Das kd-Sonderangebot: Rassismus. Sie bestimmen, wo Sie kaufen.“