Die Wahl der Farben

Er war dunkler als blau und verabscheute Drogen: Am Sonntag ist der Soulsänger Curtis Mayfield gestorben ■ Von Harald Fricke

Zuletzt war er in einem Video mit Puff Daddy und R. Kelly zu sehen. Im Refrain zu dem Lied, ein Benefiz-Song auf dem Red-Hot-Sampler für eine bessere Betreuung von Aids-Patienten, zoomt die Videokamera über sein Gesicht. Mit geschlossenen Augen lächelt Curtis Mayfield beim Singen. Richtig hören kann man ihn nicht in dem etwa zwanzigköpfigen Chor aus Stars der HipHop- und Rhythm & Blues-Szene. Die new generation der Dru Hills und Brandys schmettert um Einiges lauter. Dabei wurde Mayfield vermutlich zur Wohltätigkeits-Session eingeladen, weil er über Jahrzehnte nichts an Credibility verloren hat – trotz Disco, Gangster-Rap und Straßenkatzensoul. Im Nachhinein wird es der letzte Clip mit ihm gewesen sein: Am Sonntag ist Mayfield nach längerer Krankheit in Roswell, Georgia, gestorben. Er wurde 57 Jahre alt.

Seinem Tod ging ein tragischer Unfall voraus, der bald zehn Jahre zurück liegt. Im August 1990 wurde der Sänger und Gitarrist bei einem Auftritt in Brooklyn von einem herabstürzenden Lichtmast an der Schulter getroffen. Seitdem war Mayfield vom Hals abwärts gelähmt und über lange Zeit bettlägerig. Zwar konnte er 1996 noch seine letzte LP „New World Order“ aufnehmen und im März 1997 vom Rollstuhl aus einen Life Time Award als Komponist entgegennehmen. Doch im vergangenen Jahr musste ihm wegen einer Diabetes, die er sich in Folge der Verletzung zugezogen hatte, das rechte Bein amputiert werden. Sein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich zunehmend: Als er in die Hall of Fame aufgenommen wurde, fand die Zeremonie ohne ihn statt.

Dabei war Mayfield schon in den Siebzigerjahren eine tragische Gestalt gewesen. Während er für seine Filmmusik zu „Superfly“ neben Isaac Hayes als Erfinder des „Blaxploitation“-Sounds gefeiert wurde, blieb der Film für Mayfield bloß ein „Cocain Commercial“. Gegen die Drogenverherrlichung setzte er sich in den Texten mit dem schwarzen Ghettoalltag auseinander und beschrieb sehr genau, wieso jemand auf Grund sozialer – und das heißt in den USA immer auch: ethnischer – Segregation zum Dealer wird. Trotzdem wurden Songs wie „Pusherman“ oder „Superfly“ zu Hymnen auf den Lifestyle von Pushern, Pimps und Hustlern verklärt – und damit zu Vorlagen für die Outlaw-Klischees des Rap. Mayfield nahm seinen Epigonen das Missverständnis nicht einmal übel und arbeitete sogar mit Ice-T am Soundtrack für das 1990er Remake von „Superfly“.

Seine musikalische Karriere reicht dagegen weit in die Fifties zurück. Als er mit seinen Impressions den ersten Hit „For Your Precious Love“ landete, war der 1942 in Chicago geborene Mayfield gerade mal 17 Jahre alt. Kennengelernt hatte sich das Vokaltrio wie so oft in der Kirche, als Chorknaben der Northern Jubilee Singers. Der Gospel war denn auch die Grundlage für Erfolge wie „Gypsy Woman“, „It’s All Right“ oder „People Get Ready“, das seither als Coverversion auf Platten von John Denver und Rod Steward bis zu Paul Wellers britischen Mods von The Jam oder den Housemartins herumgespukt hat.

Die Vorliebe für Pop war allerdings schon bei den Impressions zu spüren. Auf ihren Platten fanden sich neben Mayfields Kompositionen Interpretationen diverser Lounge-Standards von Burt Bacharachs „The Look Of Love“ bis hin zu Musical-Schmonzetten à la „East of Java“. Die Impressions versuchten sich an einer auch für das weiße Publikum tragfähigen Variante von DooWop-Gesang, zu der Mayfield seine fein dahingleitenden Falsett-Harmonien beisteuerte. Anders als die überdrehten Motown-Acts klang Urbanität bei den Impressions nicht nach der Spritzigkeit der Jugend, sondern wie elegante Abendunterhaltung einer schwarzen Mittelschicht. Dazu passt Mayfields unternehmerischer Sinn: Bereits 1961 gründete er sein eigenes Curtom-Label, auf dem auch Gladys Knight Platten veröffentlichte. Die Enttäuschung kam 1967, als in Chicago die Ghettos brannten: Bei den Riots gab es 40 Tote und über 7.000 Verhaftungen. Plötzlich musste Mayfield einsehen, dass der Glaube an ein friedliches Zusammenleben zwischen Schwarz und Weiß, das er mit Bürgerrechtsliedern wie „Keep On Pushing“ befördert hatte, nicht mehr in eine Zeit passte, in der sich die Jugend auch gegenüber der eigenen Neighbourhood politisierte. Noch im Jahr bevor Marvin Gaye mit „Inner City Blues“ sein depressives Bild zum Stand der black community aufzeichnete, erschien Mayfields „Choice of Colors“, wo er im Refrain trocken fragte: „Wenn du dir eine Hautfarbe aussuchen könntest – welche wäre es?“

Ein Jahr später hatte er sich entschieden: Der Song „We The People Who Are Darker Than Blue“ setzt sich mit der Gewalt von Schwarzen gegen Schwarze ebenso auseinander wie mit Selbsthass und der von Ralph Ellison beschriebenen Identitätslosigkeit des „Invisible Man“. Der Stolz, den James Brown propagierte, war bei Mayfield immer schon durch die Realitäten gebrochen: „But there’s the joker in the street loving one brother and killing the otherT/ when the time comes and we are really free / there’ll be no brothers left you see.“

Diese Sicht der Wirklichkeit hat selbst die ausschweifenden Achtzigerjahre überlebt. 1988 wurde Mayfield nach einer Durststrecke in Zeiten von Glam und Disco von Northern-Soul-Fans wiederentdeckt. Sein Revival-Konzert in der Hamburger Fabrik war damals ausverkauft. Nach dem Auftritt saß Mayfield, inzwischen ein gestandener Mann mit einiger Körperfülle, Backstage herum und summte vor sich hin. Sobald sich ihm jemand näherte, blitzte jedoch ein Lächeln über sein Gesicht, er sprang auf und umarmte jeden, der sich ihm vorstellte. Nicht unbedingt wegen des Showbiz, eher aus Nächstenliebe, wie es eben in der Bibel geschrieben steht. So sollte man ihn in Erinnerung behalten.