Erneuerung durch Auflösung

Zehn Jahre nach dem Ende der DDR soll sich das Neue Forum selbst auflösen – wenn es nach dem Willen der Thüringer Basis geht. Nicht alle Gründer trauern  ■   Von Nicole Maschler

Berlin (taz) – Im Streit um die Rednerliste zum 9. November hatten ehemalige DDR-Bürgerrechtler noch beklagt, dass sie in der Bundespolitik an den Rand gedrückt würden. Doch nun, zwei Wochen später, stellt sich die Bürgerbewegung selbst in Frage: Die Thüringer Landesgruppe des Neuen Forums hat bei einem Treffen in Mellingen bei Weimar gefordert, die Partei aufzulösen.

Mit einer Mehrheit von zwei Dritteln beschloß der Landesverband Thüringen diesen Antrag. Er ist mit 200 Mitgliedern der größte des Neuen Forums. Im März soll das Bundesforum über den Antrag entscheiden. Landeschef Matthias Büchner bezeichnete die Auflösung als „Gebot der Vernunft“. In einer festgefahrenen Parteienlandschaft habe man das Neue Forum offenbar nicht gewollt.

In der Partei stößt die Forderung der Thüringer jedoch auf Ablehnung. „Das ist eine Einzelmeinung. Ich glaube nicht, dass sie dafür eine Mehrheit auf dem Bundesforum kriegen werden“, sagte Klaus Wolfram, einstiger Mitbegründer des Neuen Forums und heute Mitglied im Berliner Landesverband, gestern zur taz. Gerade die Diskussion um die Feier zum Tag des Mauerfalls habe gezeigt, dass das Neue Forum weiterhin eine „Lebensberechtigung“ habe. „Die Aufgaben gibt es noch immer.“

Im September 1989 hatten dreißig Mitglieder der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ zur Gründung des Neuen Forums aufgerufen, darunter auch Bärbel Bohley und Jens Reich. Damals war das Neue Forum mit rund 200.000 Mitstreitern die größte Bürgerbewegung der DDR. Heute, zehn Jahre nach dem Mauerfall, scheint sie ausgeblutet. Viele der einstigen Kämpfer für „Demokratie und Rechtsstaat“ sind nach der Wende zu Bündnis 90/Die Grünen gewechselt. Übriggeblieben ist ein wackeres Häuflein von 400 Mitgliedern – die Hälfte davon sitzt in Thüringen. So zerfasert wie sich die einstige Massenbewegung heute zeigt, so breit ist das Meinungsspektrum innerhalb der Gruppe.

„Das Neue Forum war schon 1990 politisch am Ende“, glaubt denn auch Gründungsmitglied Hans-Jochen Tschiche. „Wir wollten die DDR nie abschaffen, sondern nur reformieren.“ Mit der Wiedervereinigung sei die Zeit des Neuen Forums vorüber gewesen. „Da wird jetzt nur etwas nachgeholt, was schon längst ein Faktum ist.“ Nun müsse eine gesamtdeutsche Bewegung her.

Eine Forderung, der sich Klaus Wolfram nicht anschließen mag: „Es geht nicht darum, eine ostdeutsche Sonderbewegung zu schaffen.“ Aber zehn Jahre nach der Vereinigung steht für ihn fest: „Der gesamte Osten kann sich nicht artikulieren. Es gibt keine Partei, die seine Interessen vertritt.“ Solange sich daran nichts ändert, müssten die Ostdeutschen an dem letzten Rest ihrer Selbstständigkeit festhalten. „Die Thüringer sind bloß enttäuscht, dass sie von den Wählern so wenig Unterstützung kriegen.“ Bei der Landtagswahl im September hatte das Neue Forum weniger als ein Prozent der Stimmen eingefahren.