Westlohn für den Osten – sofort“

Die Beamten-Proteste richten sich nicht nur gegen die verordnete Nullrunde, sondern gegen den Sparkurs und die Ungleichheit der Ost-West-Gehälter  ■   Aus Berlin Annette Rogalla

Also, komisch ist ihr ja schon. So viele Leute, die Trillerpfeifen, Tröten und Fahnen. Und sie mittendrin. Einmal wollte sie erleben, „wie eine Demo läuft“. Und als Ina Heckel vergangenen Donnerstag am schwarzen Brett den Aufruf zur Demo nach Berlin las, wusste sie zwar „nicht so genau was ein Besoldungsdiktat ist“, aber dass sie da mitmacht, war klar. „Schließlich unterstütze ich mit der Demo meine Gewerkschaft“. Die 19-Jährige fühlt sich der Steuergewerkschaft gegenüber verpflichtet, denn sie hilft der Beamtin, falls sie mal gegen ihren Willen vom Finanzamt Villingen nach Stuttgart versetzt werden sollte. Nun steht sie also am Berliner Neptunbrunnen und bestaunt die Sprüche auf den Schildern: „Finger weg von der Tarifautonomie“, „Wir wollen Knete sehen“. So recht kann Ina nicht zustimmen. Als Azubi bekommt sie 1.500 Mark brutto, „das reicht mir“.

Dass die Bundesregierung den Beamten in den kommenden zwei Jahren nur den Inflationsausgleich zahlen will, werten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes als „Besoldungsdiktat“. Deswegen die Demonstrationen in Berlin. An drei Stellen sammeln sich Beamte, Angestellte und Arbeiter. Schön getrennt demonstrieren die Beamtengewerkschaften von den Angestellten und Arbeitern. Genauso, wie es die alte Etikette seit Jahrzehnten vorschreibt.

Vor dem Roten Rathaus im Osten schwenken die Beamten ihre Fahnen für höhere Gehälter. Vor dem Brandenburger Tor stehen die Gewerkschafter vom DGB. Die Veranstalter wollen insgesamt 40.000 zählen, die wegen der Sparpolitik gekommen sind. Dabei geht es vielen gar nicht nur ums Geld. Manchen treibt auch die Panik auf die Straße, möglicherweise arbeitslos zu werden.

Michael Struck, 25, arbeitet als Fahrdienstleiter im Eisenbahn-Stellwerk Holzminden. Im Monat bringt er 2.300 Mark netto nach Hause. Als Springer arbeitet er oft sieben Tage durch und nimmt bis zu zwei Stunden Autofahrt zum Einsatzort in Kauf. Die Bahn will weiter rationalisieren. Schon fahren Hausfrauen mit einem 630-Mark-Job in der Tasche die Triebwagen im Umkreis von 50 Kilometer von Holzminden, sagt Struck. „Und demnächst soll ein vollautomatisches Stellwerk gebaut werden. Dann kann ich einpacken.“ Michael Struck fürchtet, als gelernter Eisenbahner woanders keine Chance mehr zu bekommen. Diese Angst hat ihn nach Berlin gebracht. „Ich will meine Solidarität mit der Gewerkschaft zeigen, damit sie mit mir solidarisch ist, wenn ich sie mal brauche.“ Zwei Tage Urlaub hat sich Struck für die Demo genommen. Sein Ortgruppenleiter der Gewerkschaft der Eisenbahner dankt es ihm mit 100 Mark Zehrgeld bar auf die Hand.

Über dem Brandenburger Tor schleppt ein Flugzeug die wichtigste Botschaft des Tages durch die Luft: „Westlohn für den Osten – sofort“. Zehn Jahre nach der deutschen Einheit arbeitet Volker Thiele aus Haldensleben noch immer für 86,5 Prozent des Westtarifs. „Ich würde ja auch noch weiterhin Opfer bringen“, sagt der Lehrer „aber es wäre leichter zu ertragen, wenn ich eine Perspektive auf 100 Prozent hätte.“

Das Sparpaket der Bundesregierung, sagt Thiele, treffe die Falschen. Keine einzige neue Stellen für junge Leute werde geschaffen. „Dass die Jungen nicht eine Chance haben, finde ich ungerecht.“