Gedanken über die Jugend: Leid und Freud    ■ Von Andreas Milk

Auch als rüstiger Mittdreißiger mache ich mir natürlich so meine Gedanken über das Altern. Man muss schließlich – so sagt man bei uns – den Hintern am Kacken halten. Wie war das mit dem Vertrag der Generationen: Die Jungen kümmern sich um die Alten. Tun sie das tatsächlich? Meine Erfahrungen vom letzten Samstag sagen da etwas völlig anderes.

Ich war zum Dienst verpflichtet worden ins Haus von Bruder und Schwägerin. Wichtige Einkäufe standen an; mein Job war es, den Nachwuchs zu hüten – im einzelnen: einen Neffen namens Jonas, eine Nichte namens Nele und ein drittes Kind von weiblichem Geschlecht, wohl ausgeliehen, mir den Rest zu geben. Na ja. Anfangs lief's gut: Das Trio verfolgte die Abenteuer Benjamin Blümchens auf CD, ich vertiefte mich in Zeitungen.

Die Lektüre endete, als meine Nichte vor mir stand und verlangte, ich solle ihr eine Portion Milch in der Mikrowelle erhitzen. Wegen eines Bedienungsfehlers lernte ich ganz nebenbei – spielerisch geradezu – die technische Versiertheit heutiger Kindergartenschützlinge kennen: „Neeeeiiin, das ist die falsche Taste! Du musst die da drücken“ – beeindruckend, dachte ich, diese Jugend ist fit für die Zukunft und würde dereinst für mein Wohlergehen im Alter Sorge tragen können. Zumindest gäbe es immer ausreichend Schnellgerichte. Klasse.

Eingelullt von solch wohligem Wissen bemerkte ich nicht, dass nebenan Nesthäkchens Kollegen eine wertvolle Sammlung alter Schriftstücke bearbeiteten, und das gründlich – ein Ablenkungsmanöver also war der Wunsch nach dem warmen Getränk gewesen. Jauchzen und Häme durchzuckten meine Schutzbefohlenen. Mich durchzuckte was anderes, und zwar eine Vision von gefesselten und geknebelten Kindern – doch das verraten Sie mal bitte nicht den Eltern. Die kehrten irgendwann heim und waren sauer über das Papier-Desaster. Ein Sachschaden – ja und? Mein Ruf als Amateurpädagoge war zerstört, mein Vertrauen in die Nachkommen ramponiert! Würde ich im nächsten Jahrtausend auf Menschen bauen können, die mich heute hintergingen und der Lächerlichkeit preisgaben?

Keine Panik, versuchte ich mich zu beruhigen – je älter sie werden, desto vernünftiger werden sie. Ein gutes Dutzend Jahre, und die Übeltäter würden gereift sein zu Zöglingen der gymnasialen Oberstufe, sich mit Studium, Berufsausübung, Familiengründung befassen und, späte Genugtuung für Onkel Andreas, ihrerseits von Kleinkindern, ob selbst gemacht oder nicht, terrorisiert werden.

Klar, ich wünsche ihnen, dass sie zuvor das Leben genießen. Etwa so wie die Schulpraktikantin, die sich in unserem Betrieb tummelt und uns Altvorderen allmorgendlich geränderten Auges ihre Erfahrungen mit Billig-Rotwein schildert. Ob sie eigentlich nur ans Saufen denke, fragte ein Kollege. Sie antwortete: Logo – denn wenn sie erst erwachsen sei, müsse sie vermutlich richtig arbeiten und habe fürs Trinken zu wenig Zeit.

Mir leuchtete das ein. Und mein Vertrauen in die Zukunft ist repariert: Diese Jugend packt es – wenn ich auch noch nicht genau kapiert habe, was. Und um ehrlich zu sein: Ich will's auch lieber gar nicht wissen.