Schütteln und Backen

■ Henning Harnisch

Was bisher geschah: Nicht viel. Der Autor ist im Trainingslager in Rogla, Slowenien, angekommen. Trotz widriger Umstände ist er, mit der Erfahrung von fünfzehn Trainingslagern im Rücken, guter Dinge. Sind ja nur zwei Wochen.

Um über Trainingslager zu sprechen, braucht es mehr als zwei Kolumnen

Trainingslager bieten viele Konstanten. Hier in Rogla ist die Natur so freundlich und hat eine hinzugefügt: den Nebel. Seit Tagen hängt er träge über der Hochebene. Aus meinem Bett starre ich ihn während der Mittagsruhe an. Er gähnt ein bisschen und fragt beiläufig: „Nerve ich dich?“ „Lass mich in Ruhe!“ Ich drehe mich auf die andere Seite, in Richtung Klo. Das Klo lugt aus seiner fehlenden Tür „Kuckuck, stör ich dich, riechst du mich?“, fragt es. „Oh nein“, rufe ich, „mich kriegt ihr nicht! Ich kenne eure Tricks!“

Und schmeiße mich auf den Bauch, vergrabe Kopf und Nase im Kissen, lasse meine Masken fallen und gebe auf. Der Lagerkoller ist da. Die Konsequenz von männergebündelter Langeweile, von vierundzwanzig Stunden durchritualisierter Tage und von Mittagsschläfen, die auf den Namen Koma hören. Ich hätte wissen müssen, dass sämtliche Maßnahmen zur Verhinderung des Kollers letztendlich lediglich verzögernd wirken würden. Die Spaziergänge, die zehn Bücher, der Versuch, ein Trainingslager-Tagebuch zu schreiben – alles für die Katz. Zu früh hatte ich mich triumphieren sehen. Reihenweise waren sie umgefallen, die anderen; zuerst die jüngsten und unerfahrensten. Die mussten schon nach drei Tagen einsehen, dass das Trainingslager der Profis eine harte Schule ist. Sie schlossen sich zwischen Training und Essen und Training und Essen auf ihren Zimmern ein und starrten ins slowenische Fernsehen. Wenn man sie aufsuchte, um ihnen Mut zuzusprechen, dann fragten sie nach Süßigkeiten und hängten ein ängstliches „Wie lange noch?“ dran. Eine zugeworfene Haribo-Schnecke und ein aufmunterndes „Nur noch elf.“ war alles, was man tun konnte, bevor man leise die Tür von außen schloss. Dann traf es nach und nach auch die Robusteren. Spätestens wenn Kraut und Fleisch der slowenischen Küche für die schlechte Leistung an der Playstation verantwortlich gemacht wurden, wusste man, es ist soweit: Der Koller macht sich breit. Noch schüttelte ich den Kopf und reagierte mit Unverständnis auf die Auswirkungen des Kollers. Eine Schlägerei im Training oder eine Unterhaltung über den steigenden Sexappeal der Putzfrauen, Mensch, reißt euch doch mal zusammen! „Ich nich!“, jubelte ich stattdessen innerlich, stolz auf meine Techniken zur Verhinderung des Super-GAUs.

Aber das Interessante am Koller ist, dass er nicht schleichend kommt, sich langsam seinen Weg bahnt, oh nein, plötzlich ist er da, wischt dein Konzept zur Seite und ist da, oh ja, so konkret wie die Schlägereien im Training, und seine Stimme ist deine, sie fließt, die Stimme des Lagerkollers, kraftvoll und klar: „Den hau ich, die Sau hat mich schon wieder gefoult! Diese Playstation-Wichser, das Fleisch im Essen, diese gesamtjugoslawischen Grillorgien, dieser Krieg in Jugoslawien!“ Du hast keine Chance, jeder Versuch, sich zu wehren – zwecklos. Als ich den Blickkontakt mit allen Frauen Roglas suchte, da war es nicht mehr zu leugnen: Der Lagerkoller hatte mich. Das Gesicht im Kissen vergraben, wusste ich, jetzt hilft nur noch eins: Der Schlag soll mich erlösen. Der Schlag?

„Schlach?“, fragte ein westfälischer Kollege später am Abend vor tausend Jahren, als wir zwei Wochen gemeinsam in Gießen einsaßen. „Schlach? Was willst du denn?“, entgegnete ich nach acht Tagen Trainingslager leicht gereizt. „Ruhig, Brauner“, besänftigte mich der Kollege, zog eine Schublade auf, entnahm eine Flasche, hielt sie mir hin und sprach mit ernster Stimme: „Appelkorn.“ Er schraubte die Flasche auf, nahm einen unvernünftigen Zuch und reichte sie mir. Die Erlösung: einen Schlach machen. Der Schlach, die schlagende Antwort auf den Lagerkoller? Fortsetzung folgt