„Eine miese Rufmordkampagne“

Der größte Viehmarkt Europas im belgischen Ciney darf zwar wieder stattfinden, aber die einheimischen Züchter und Käufer bleiben unter sich  ■   Aus Ciney Daniela Weingärtner

Wenn von Ciney die Rede ist, denken Bierkenner an Dunkelbier mit einem spitzen Kirchturm auf dem Etikett. Tatsächlich wird in dem kleinen Städtchen im Süden Belgiens berühmtes Bier gebraut. Hier wird aber auch jeden Freitag der größte Rindermarkt Europas abgehalten. Dann verwandeln sich die Hügel vor der Stadt in ein muhendes Durcheinander. 4.000 Rinder haben hier vor dem Dioxineinbruch jede Woche den Besitzer gewechselt. Seit zwei Monaten ist der Export praktisch blockiert, gekauft wird nur noch für den belgischen Verbrauch.

Diesmal sind einige Händler gar nicht erst gekommen, nur 3.500 Rinder stehen in den Metallständern, obwohl der Markt in der Vorwoche ganz geschlossen war. Auch die Käufer aus Spanien, Italien, Frankreich und Holland sind weg geblieben. Selbst wenn sie ein Tier mit Unbedenklichkeitserklärung eines Labors erstehen könnten, würde das nicht helfen. Die Verbraucher essen kein belgisches Fleisch mehr.

Am Ende des Tages werden zwei Drittel der Tiere verkauft sein. Zu Preisen, die bis zu 30 Prozent unter den üblichen liegen. Die Stimmung schwankt. Wut, Galgenhumor,Trauer. Ein Großschlachter mit 400 Angestellten, der nur „als Tourist“ gekommen ist, sagt, er könne ein paar Monate durchhalten. Aber für kleine Bauern sei die Lage verzweifelt. Gerade gestern habe sich eine 29-jährige Hofbesitzerin, Mutter von drei Kindern, erhängt, weil sie die Kredite nicht mehr bezahlen konnte.

„Die Nachbarländer haben doch auch Dioxinprobleme“, sagt ein anderer. „Das ist eine miese Rufmordkampagne, um die belgische Konkurrenz auszuschalten. Wenn wir Europäer uns gegenseitig die Augen aushacken, dann drücken die Amerikaner in den Markt.“ Für die Ängste der Verbraucher haben die Männer wenig Verständnis. Sie sehen die Sache rein marktwirtschaftlich. Die Politik soll es richten, einheitlich für ganz Europa. Und bis dahin müssen die Auflagen für belgisches Rindfleisch ausgesetzt werden. „Wenn der EU-Veterinärausschuss seine Entscheidung nicht ändert, machen wir die Grenzen für Fleischimporte dicht“, sagt einer mit dicker Zigarre. „Die Scheiße kommt doch aus der Industrie. Können wir doch nicht wissen, was in dem Tierfutter drin ist.“

Auch belgische Wissenschaftler halten die Entscheidung des Ausschusses, für alle Nahrungsmittel mit mehr als zwei Prozent Fettgehalt einen PCB-Test zu verlangen, für angreifbar. Der Lütticher Molekularbiologe Arsène Burny weist darauf hin, dass die vierbeinigen Fleischberge der Rasse Weißblaue Belgier so gut wie kein Fett enthalten. Andererseits seien umfangreiche Tests die einzige Möglichkeit, das Vertrauen in belgisches Rindfleisch wieder herzustellen.

Ein Viehhändler aus Eupen, der seinen Bullen mit kräftigen Schlägen Richtung Transporter dirigiert, entdeckt beim Thema Dioxin den Tierfreund in sich. In singendem Niederrheinisch sagt er: „Die sehen nur so dick aus. Wenn Sie denen Fett entnehmen wollen für die Analyse, müssen Sie an den Leisten ganz tief reinschneiden, wie ein Kaiserschnitt. Das ist doch Quälerei.“ Sprichts und gibt dem Tier noch eins drauf, damit es sich die Rampe hinaufschleppt.

Überall in der riesigen Halle haben sich Grüppchen gebildet, die laut diskutierend versuchen, das Rindermuhen zu übertönen. Die wenigen Touristen und Journalisten dazwischen sind sofort zu erkennen: Sie haben keine dunklen Nylonkittel an und tragen keine Spazierstöcke bei sich. Wer zwischen den festgebundenen Rindern hindurchzugehen versucht, versteht sofort, warum ein Knüppel hier so wichtig ist. Das kleine blonde Mädchen vorn neben der Viehwaage hält seinen ganz fest. Gerade hat ihr Vater einen Bullen erstanden. Er hat ein paar Zahlen in seinen Taschenrechner getippt, die Stirn gerunzelt, genickt und seine flache Hand auf die des Verkäufers geschlagen. Einmal, zweimal, dreimal – Geschäft perfekt.

Jetzt bindet er das Tier los und malt mit grünem Filzstift das Zeichen seines Unternehmens aufs weiße Hinterteil. Mühsam wie ein Bodybuilder, dessen Muskelpakete bei den einfachsten Bewegungen im Wege sind, setzt sich der Weißblaue Belgier in Bewegung. Dann rutscht er auf der schlierigen Kotschicht aus. Gerät in Panik. Das Seil entgleitet dem Käufer. Der Bulle macht kehrt und rast los.

Alles springt zur Seite. Nur ein etwa 12-jähriger Junge versperrt dem Tier mit ausgebreiteten Armen den Weg und dirigiert es mit dem Stock in einen Seitengang. Und da ist auch das kleine Mädchen wieder und drischt auf das muskelbepackte Hinterteil. Ganz kurz zieht südfranzösische Stierkampfstimmung durch die glitschige Halle von Ciney. Dann senken die Männer die Blicke wieder in ihre Auftragsbücher. 700 Kilo bringt der Bulle auf die Waage. 70.000 Belgische Francs, 3.500 Mark hätte man in normalen Zeiten bezahlen müssen. Heute kostet er ein Viertel weniger.

Trotzdem gehen die Geschäfte schleppend. Das bittere Gefühl, Opfer einer Rufmordkampagne zu sein, verbindet alle. Ausgerechnet in Brüssel bittet heute Abend die britische Fleischwirtschaft zu Tisch, um das Ende des BSE-Embargos zu feiern. Bei einem Gala-Dinner soll medienwirksam british beef verspeist werden, während gleichzeitig beim Veterinärausschuss über das Schicksal der belgischen Konkurrenz entschieden wird.