Kommentar
: Falsche Lobeslieder

■ Gesund ist das Gesundheitswesen noch lange nicht

Es gab Zeiten, da wollten die Ärzte partout nicht mit der neuen Gesundheitsministerin zusammenarbeiten. Sie verbarrikadierten sich hinter ihrer Gewohnheit, jedes Mittel zu jeder Zeit zu verschreiben, egal was es kostet. Arzneimittelbudget? Nein danke! Regresszahlungen? Pfui Teufel! Andrea Fischer? Eine Dogmatikerin im Staatskostüm! Heftige Angriffe empfingen die Ministerin, wo immer sie auftauchte. Seit Dienstagabend scheint die Zeit der Bösartigkeiten vorbei. Die Ärzte haben die große Kanone „Notprogramm“ wieder in die rostige Gartenlaube geschoben, ohne dass ein Schuss gefallen wäre. Stattdessen einigten sie sich friedlich: Demnächst wollen die Doktoren nur noch preiswerte Medikamente verordnen, und das nur in medizinisch notwendigen Mengen. Sie versprechen, alles zu tun, um das Arzneimittelbudget in diesem Jahr nicht zu überschreiten.

Das Verhandlungsergebnis wird mit gewichtigen Worten geziert. Von einem „Durchbruch“ ist die Rede. Doch die Lobeslieder klingen falsch. Eigentlich versprechen die Ärzte nichts anderes, als das zu tun, wozu sie seit mehr als einem Jahrzehnt – seit der ersten Blümschen Gesundheitsreform 1988 – gesetzlich verpflichtet sind: notwendige und wirtschaftliche Arzneimittel zu verordnen. Andrea Fischer hat ihnen lediglich das Bekenntnis abgerungen, wieder auf den Boden des Gesetzes zurückzukehren. Im Prinzip haben die ärztlichen Standesführer gleichzeitig indirekt eingestanden, dass sie in den vergangenen Jahren so gehandelt haben, als seien sie Herrscher in einer Bananenrepublik.

Der Streit um das Sparkonzept der Bundesregierung ist noch lange nicht ausgestanden. Die Zurückhaltung beim Rezepteschreiben erledigt den Zank um das Arzneimittelbudget bestenfalls für die kommenden Monate. Ab dem nächsten Jahr will Fischer mit der „Gesundheitsreform 2000“ allen Beteiligten im Gesundheitswesen ein Globalbudget verordnen. Kassen, Ärzte und Krankenhäuser sollen dann untereinander aushandeln, wie viel Geld für welchen Teilbereich zur Verfügung steht. Da hat Andrea Fischer noch erhebliche Widerstände zu überwinden, die den Kampf um das Arzneimittelbudget wie ein kleines Scharmützel aussehen lassen. So lange darf Fischer noch das Gefühl genießen, endlich als Ministerin anerkannt zu sein. Annette Rogalla

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