„Für Israel ist er der Vertreter des jüdischen Verrats“

■ Der Jerusalemer Geschichtsprofessor Mosche Zimmermann über Bubis' Lebensleistung und ihre geringe Beachtung in Israel

taz: Herr Zimmermann, Ignatz Bubis lebte als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, weil er sich dort zu Hause fühlte. Israels ehemaliger Präsident Eser Weizman sagt, Deutschland könne keine Heimat für Juden sein. Wie sehen Sie das?

Zimmermann: „Ich sehe das nicht so wie Weizman. Ich glaube, daß Deutschland genauso problematisch als Heimat für Juden ist wie Israel. Dort gibt es Probleme und hier auch. Ich bin Israeli und halte mich wegen meiner Arbeit öfter in Deutschland auf. Es könnte aber auch umgekehrt sein.

Deutschland diskutierte das ganze Wochenende, ob Bubis recht hatte, als er sagte, er habe nichts bewirkt.

Hier hat Bubis Unrecht. Er hat viel erreicht, obwohl man es jetzt noch nicht anerkennt. Das wird im Laufe der Zeit immer klarer werden. Zum Beispiel, daß ein deutscher Jude eine Selbstverständlichkeit geworden ist, genauso wie ein amerikanischer Jude. Stellen Sie sich vor, man hätte Rathenau im Jahre 1920 als Reichspräsidenten in der Weimarer Republik vorgeschlagen – unmöglich.

Und heute?

Heute schlägt man Bubis als Kandidaten für das Amt des deutschen Bundespräsidenten vor, und etwa ein Drittel der Deutschen ist sogar damit einverstanden. Das ist zum großen Teil sein Verdienst. Aber besonders signifikant finde ich seinen Erfolg bei der Hessen-Wahl, wo er als jüdischer Politiker keine Belastung für seine Partei darstellte, sondern einen Gewinn.

Welche Rolle spielt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Deutschland für Israel?

Null. Und zwar nicht nur null, sondern noch schlimmer: Er ist eigentlich der Vertreter des jüdischen Verrats. Israel verhält sich prinzipiell ablehnend gegenüber den Juden in der Diaspora. Bei den Juden in Deutschland, also dem Land der Täter, verwandelt sich diese Ablehnung sogar in Haß. Die deutschen Juden sind Abschaum.

Bubis wollte in Israel begraben werden .

Die Tatsache, daß Bubis hier seine letzte Ruhe findet, ist ein Paradox. Aber hätte man ihn nicht hier begraben, dann hätten die israelischen Medien noch weniger berichtet, als ohnehin schon.

Warum wurde Bubis nicht auf dem Herzl-Berg beigesetzt?

Eine typisch deutsche Frage. Der Herzl-Berg ist einer kleinen Gruppe herausragender Figuren des jüdischen Volkes vorbehalten. Das deutsche Judentum zählt nichts in Israel, sondern ist nur eine Gruppe von Verrätern, die sich weigern, nach Israel zu immigrieren.

Wie sehen Sie Bubis?

Ich halte Bubis für die wichtigste Persönlichkeit im Nachkriegsdeutschland. Die wichtigste schlechthin. Aber ich finde leider nicht viele Menschen hier, die so denken wie ich. Bubis spielte nicht nur für das deutsche Judentum eine Rolle, sondern weltweit. Gerade weil er im Knoten der Geschichte in Deutschland wirkte.

Interview: Susanne Knaul