■ Henning Harnisch
: Schütteln und Backen

Jetzt ist es wieder soweit: Wenn Menschen anfangen, über die anhaltende Hitze zu nölen, dann packen Basketballer ihre Koffer, verabschieden sich mit einer gewissen Routine von ihren Liebsten und fahren ins Trainingslager.

Dann fahren sie z.B. nach Rogla. Rogla liegt in Slowenien. Slowenien ist ein kleines und ein schönes Land: Die Adria hat ein paar Kilometer Küste geschenkt, und der Blick wird durch sanft geschwungene Berge dominiert. Auf einem dieser Berge liegt Rogla.

Um über Trainingslager zu sprechen, braucht es mehr als eine Kolumne

Der Busfahrer wartet, obligatorisch zigarettenbewaffnet, vor dem Flughafen von Ljubljana. Leeren Blickes schlurfen Basketballer, die langen Arme durch fette Sporttaschen noch länger gestreckt, in Richtung Bus, reichen dem Fahrer die Taschen und steigen – traurig, aber bestimmt – ein. Landschaften fliegen vorbei, kein Sportlerblick würdigt ihre Reize. Der Bus schweigt. Mit Ausnahme der vordersten Reihe: Hier werden gesamtjugoslawische Erfahrungen zwischen Busfahrer und Trainer ausgetauscht. Der Busfahrer unterlegt seine lautstarken Ausführungen mit angemessen brutalem Fahrstil. Nach Stunden erbarmungsloser Kurverei nähern sich Bus und Mannschaft ihrem Ziel. Das ist unübersehbar, denn während der Bus sich den Berg hinauf schlängelt, bietet die Zivilisation nur noch versprengte Ferienhütten an. Die Einöde ist das Ziel.

Erinnerungen werden wach: Trainingslager 1986 im Schwarzwald? Ein Haus auf einem Berg, vollgepackt mit Sportlern, ausschließlich männlicher Gattung. Vor dem Haus eine Wiese, ringsherum höhere Berge. Einen dieser Berge galt es, jeden Tag vor dem Frühstück und vor dem Abendessen, hinaufzulaufen. Und wieder herunter. Tag für Tag. Trainingslager-Alltag. Die mittägliche Ruhe wurde nur durch dumpfe Einschläge im Minutentakt durchbrochen: Hammerwerfer beim Training. Noch heute frage ich mich, ob das Trainingslager sein Ziel erreicht hatte, als ein Kollege und ich, nach eigentlich schon getaner Arbeit, am Abend aus unserem spartanischen Zimmer auf unseren Berg starrten, irgendwann stumm unsere Trainingssachen anzogen und im Duett, die Rocky-Melodie auf den Lippen, kurz vor Dunkelheit den Berg hinaufstürmten.

Rogla ist wie der Schwarzwald: ausgedehnte Hochebene, sattes Grün. Nur den Wald haben sie vergessen. Und statt dessen ein sogenanntes Sporthotel auf den Berg gesetzt. Die Taschen werden in den zugeteilten Zimmern abgestellt, routiniert bestürzt wird der Aufenthaltsort für die nächsten zwei Wochen vermessen und begutachtet. Die ersten Center sieht man relativ schnell mit verzweifeltem Ausdruck auf dem Gesicht an der Rezeption herumhängen: Lange und unglückliche Menschen. Das Reden überlassen sie dem Manager. Von großen Betten und Zimmern mit Komfort war die Rede, vor ein paar Wochen, als die Hotelleitung die Sportlerbuchung schriftlich bestätigte. Jetzt müssen Versprechungen an die Wirklichkeit angepasst werden. Keine einfache Aufgabe, wenn die komplette Rezeption plötzlich des Englischen nur rudimentär mächtig erscheint und Komfort in Rogla eine ähnlich verdächtige Kategorie ist wie die vier Sterne, die selbstbewusst über dem Hoteleingang prangen. Da kann auch der scharfe Ton des Trainers nur bedingt weiterhelfen. Die Center wissen sich selbst zu helfen und schmeißen die Betten kurzerhand aus den Fenstern. Ein schöner erster Tag in Rogla.

Frohen Mutes trifft sich die Mannschaft dann komplett in der Eingangshalle: Die zermürbende Reise soll durch ein ansprechendes Lauftraining vergessen gemacht werden. Man checkt sich schweigend ab, die Ausrüstung wird geprüft: Trainingsanzug, Laufschuhe, das gute alte Sprungseil. Die Blicke schweifen umher. Gesucht werden Anhaltspunkte, Objekte, Sachen, die in den kommenden Wochen die Sinne erfreuen könnten. Gefunden werden Vitrinen, geschmückt mit farblosen Bildern und zweifelhaften Schmuckstücken des slowenischen Urlaubsortes. Es mieft.

Wanderer tauchen auf. Es sind keine Profis. Einen winzig kurzen Augenblick flackern Alltagsüberlegungen auf: Könnte ich mir vorstellen, hier Urlaub zu machen? Ein „Auf geht's“ des Trainers beendet diesen kurzen Exkurs. Wir sind im Trainingslager, zwei Wochen und keinen Tag weniger. (Fortsetzung folgt)