Schütteln und Backen

■ Henning Harnisch

Drazen Tomic stellen sie in Zagreb vors Kriegsgericht. Hat dem Spinner denn niemand gesagt, daß auf Heimatlandkaputtschießen zu Hause die Todesstrafe steht? Der Mann muß nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, denkt, er wäre als zweite Generation bzw. Assimilierter im Recht, 32 Punkte gegen das Land seiner Eltern zu machen. Von wegen. Schily hat schon ganz andere nach Hause geschickt – auch zum ollen Tudjman. Pause.

Kennen Sie eigentlich den Club der frischen Länder? Lernen Sie Mittelhochlitauisch?

Nachdenklich bin ich jetzt, den Texteinstieg vor Augen. Wieder einmal muß ich registrieren, daß meine Welt nicht die aller, oder die der meisten, ist, das heißt konkret: daß sozusagen spätestens jetzt alle Leser aus dem Text ausgestiegen sind. Nun gut, das ist das Schicksal jeder ersten Generation, auch der Basketball-Kolumnisten, man lebt und schreibt für die nächste.

Anyway, kennen Sie den Club der frischen Länder? Kennen Sie die kroatischen Könige zwischen 1000 und 1200? Lernen Sie Mittelhochlitauisch? Macht nichts, dann gehören Sie wahrscheinlich nicht zu einem der Länder, die verzweifelt Anschluß an den Euro suchen und deren Geschichtsbücher noch auffälliger als anderswo nach Konstruktion riechen.

Willkommen im Club der frischen Länder. Und willkommen bei der Basketball-Europameisterschaft. Diese Veranstaltung gibt es nämlich primär aus Neugegründete-Kleinstaaten-Interesse. Normale Sportler bzw. Profis nölen seit langem über zu hohe Belastungen, fehlende Motivation und fordern, alternativ zur EM, die Einrichtung einer Sommerliga an der Cote d'Azur, wo man Nützliches („auch ich brauche einen neuen Vertrag und konnte mich letzte Saison wegen meinem Scheiß-Trainer nicht profilieren“) mit Angenehmem ( „wir spielen immer einmal am Tag, so um sechs, und der Veranstalter zahlt das Hotel, auch für die Familie“) verbinden kann.

Für Profis aus dem Club der frischen Länder zählt diese Art Denken nicht, zumindest nicht im Sommer. Ist die Saison im Verein passé, sind die Dollars (cash!) eingesackt, dann verwandelt sich der abgezockteste Profi in einen leidenschaftlichen Kämpfer für das Vaterland. Selbst alte Männer wie Arvidas Sabonis, litauischer Bär und NBA-Profi, machen allzeit wieder mit beim Aufmarschieren, Zeichen zeigen und Heimatlicher-Diktatoren-Gedenken. Tolle Idee eigentlich, schwierige Länder treffen sich alle zwei Jahre zum gemeinsamen Schlachten auf dem Spielfeld, vorher werden neue Nationalhymnen gesungen und nachher komplizierte Gesten mit den Händen veranstaltet.

Nicht nur eine tolle Idee, auch in der Ausführung schon ganz ordentlich. Gesehen und gehört z. B. bei der EM 95 in Griechenland, als siegestrunkene Serben während der Siegerehrung drei Finger gen drittplazierte Kroaten feuerten und zweitplazierte Litauer, Rußland im Blick, ihre frisch einstudierte Hymne jaulten. Alles unter den aggressiven Augen frustrierter griechischer Hools, das war doch schon mal was.

Dieses Mal war eher lau. Die Jugos waren verständlicherweise verstört und wurden folgerichtig nur Dritte. Im Endspiel zwei altmodische Länder wie Italien und Spanien. Ein anderes antiquiertes Land, Frankreich, fungierte als Gastgeber. Und meines Wissens gab es keine neuen Siegeszeichen. Doch allzuviel kann ich auch nicht sagen, das blöde Fernsehen war noch auf dem Balkan, Bilder ordnen. Ach ja, die Türken wurden kurdenlos Achter, und da wären wir auch schon bei einem Ausblick. Scheinbar sieht die Zukunft recht rosig aus. Daß die Türkei das nächste Treffen veranstaltet, ist ein Fortschritt zu Frankreich und ausbaufähig.

Wie wäre es zum Beispiel, wenn Leni Riefenstahl, die große alte Dame des Aufmarschs, den Türken zeigen würde, wie man so was richtig inszeniert: Paraden, aber amtlich, klasse Massen und die Jungs von der Führung komplett auf der Tribüne. Das wird 'ne Gaudi. Vielleicht legitimieren sich ja auf die Schnelle noch ein paar Länder; denkbar wäre ein Endspiel Lega Nord gegen Katalonien. Apropos Gaudi, vielleicht ist ja dann auch Bayern dabei. Einen guten Mann, Dirk Nowitzki, haben sie schon. Keine Frage, jetzt schnell Staat gründen, bevor Franken Eigentumsrechte am Würzburger Nowitzki anmeldet. Moment mal, da war doch noch was ... Korsika, Euskadi, Wallonien, Südtirol ... ja Leni, kannst ruhig schon mal aufbauen.