am Messbecher e Recherche

■ Der Buchtip: Radio Bremen-Journalist Gerald Sammet stöberte literarische Verneigungen vor König Alkohol auf und kleidete sie in Samt

„'Nie wieder!' Der Mann um die Dreißig, der jetzt wie Ende Vierzig aussieht, richtet sich aschfahl im Bett auf, schlurft ins Badezimmer, reißt ein Schränkchen auf, füttert sich mit zwei Aspirintabletten und trinkt gierig und laut Wasser aus der hohlen Hand... Er nimmt diesen furchtbaren Kater hin wie einen Preis dafür, daß er vorige Nacht ein Berserker war. Zwar hatte er gewankt, doch er war nicht gewichen...“ schreibt Josef von Westfalen in einem Text, der mit „Das Leben ist hart. Über das Saufen.“ überschrieben ist. Zeilen wie diese sind der Stoff, aus dem „Das literarische Barbuch“ gemixt ist.

„Journalisten und Schriftsteller sind Suffköpfe, das ist ja bekannt,“ sagt Gerald Sammet, der Herausgeber dieser Textsammlung. Sammet sollte wissen, wovon er redet. Schließlich ist er beides, Journalist und Schriftsteller. Der Wahlbremer, ehemaliger Chef der Journalredaktion von Radio Bremen 2 und zur Zeit in der Intendanz des Senders, hat auf 238 Seiten Geschichten von Trinkern und über das Trinken gesammelt – von Hemingway und T.C. Boyle bis hin zu Graham Greene und dem Isländer Halldor Lax-ness. Dazu finden sich in dem schön aufgemachten Band feine Illustrationen und Cocktailrezepte – klar geordnet nach Alkohol-Familien und fein auf die in den Texten angesprochenen Drinks abgestimmt.

Natürlich liegt der Verdacht nahe, daß hier jemand zwei seiner Hobbys – Lesen und dabei Cocktails trinken – zum Beruf gemacht hat. Nein, sagt Sammet. „Ich bin kein begeisterter Cocktailtrinker.“ Schließlich ist der Journalist in Bayern groß geworden. Sammet ist konsequenter Weißbierfreund. „Das Buch war eine reine Auftragsarbeit,“ erklärt er den Ausflug in die Welt der Nipp-Getränke.

Den hat er aber mit Bravour gemeistert. Nur vier Wochen brauchte der Radio-Bremen-Mann, um seine und andere Bibliotheken nach Bonmots über die Faszination des Barlebens zu durchkämmen. Schwerer fiel dem Biertrinker die Recherche am heimischen Meßbecher. „Ich stand ja schließlich vor der verdammten Pflicht und Schuldigkeit, die Rezepte in dem Buch auch sauber nachzuprüfen.“ Nein, zum Cocktailtrinker sei er dadurch nicht geworden. Eher das Gegenteil...

Das Ergebnis dieser selbstlosen Recherche liest sich dafür flüssig runter. Das Buch gleicht einem Cocktail, bunt gemischt aus herben und süßen Leckereien. Bittere Alkoholiker-Geschichten stehen neben Anekdoten und Erinnerungen an ausgelassene Zechgelage.

Die Klammer des Ganzen ist natürlich nicht neu. Und wenn man im Rahmen einer Anthologie über die Beziehungskiste von Trinken und Schreiben Ausschnitte von Raymond Chandler druckt, liegt man natürlich nicht falsch. Andererseits sind aber zum Beispiel gerade Chandlers Beziehung zum Saufen und sein promillegeladener Detektiv Marlowe schon so oft thematisiert worden, daß das allein nicht das Herausbringen eines solchen Bandes rechtfertigt.

Doch Sammet hat auch ein paar gelungene Überraschungen auf Lager – etwa der Ausschnitt aus Haldur Laxness Erzählung „Der Heringshandel“, den er ausgegraben hat. „Wir küßten die Bierflaschen inmitten der Einöde,“ heißt es dort. So sinnlich kann man beschreiben, daß zwei Leute um die Wette ihre Pulle leeren, weil der Verlierer eine Krone zahlen muß. Ein weiterer Höhepunkt: T. Coraghessan Boyles Betrachtungen über Trunk und Einsamkeit in einem entlegenen amerikanischen Wintersportidyll.

Solche vergnüglichen Texte erreichen, vereint unter diesem Motto, eine neue Dimension. Man bekommt Lust, alte Bücher neu zu lesen und neue genauer unter die Lupe zu nehmen – so allgegenwärtig scheint das Trinken in seinen gepflegten und weniger gepflegten Erscheinugsformen, in der Literatur wie im Leben. Und diese Erkenntnis, die Lust auf Weiterlesen macht, genügt, um die Existenz dieses Buches zu rechtfertigen. Sammet ging es schließlich nicht darum, dieser Allgegenwart des Alkohols literaturwissenschaftlich nachzugehen. Das Buch sollte Unterhaltung sein, und unterhaltsam ist es in der Tat. „Natürlich ist das in erster Linie ein Geschenkband, der direkt neben Titeln wie dem 'Erotischen Kochbuch' im Laden steht,“ sagt Sammet nüchtern. Übersehen wird es dort jedenfalls keiner: Das gesamte Buch ist in dekadenten roten Samt geschlagen. Und das ist das einzige, was bei Sammet einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hat. „Viele Rezensenten sind dadurch zu grauenhaften Kalauern inspiriert worden, von wegen Samt und Sammet. Möge Gott sie dafür Strafen.“ Lars Reppesgaard

“Ein Literatur-Cocktail oder: Das literarische Buch“. Eichborn Presse.49.80 DM. 240 Seiten

Abb.: Otto Dzemla (dem Buch entnommen)