Normalzeit

Genius loci  ■ Von Helmut Höge

Ein Freund von mir beschloß eines Tages, das Land, die DDR, zu verlassen – er scheiterte jedoch. Man sperrte ihn als Republikflüchtling ins Gefängnis, von dort wurde er vom Westen freigekauft. Jetzt arbeitet er als Reprofotograf in Westberlin. Und haßt natürlich die SED.

Weil sein Vater einst als Bäcker in einer Pioniereinheit in der Wehrmacht gedient und dabei das Fotografierverbot mißachtet hatte, besitzt sein Sohn nun eine ziemlich aufschlußreiche Dia-Show über den Ukraine-Feldzug, die er gelegentlich öffentlich vorführt. Neulich hatte er eine Herzoperation, anschließend kam er in eine Reha-Klinik – in das umgebaute Herz des DDR-Politbüros, die Waldsiedlung Wandlitz.

1990 war daraus die „Brandenburg Klinik“ geworden – als „konsequente Fortsetzung erfolgreicher Unternehmensstrategie“ der Michels-Gruppe. Ein Familienbetrieb in Münster, bestehend aus drei Diplomingenieuren, die seit 1932 im Sanitärbereich „engagiert“ sind, seit 1979 auch noch im Immobiliengeschäft. Bisher errichteten sie „schlüsselfertig“ zweihundert Großprojekte, darunter die Reha-Nordseeklinik auf der Insel Norderney (1985), die Herzog-Julius-Klinik in Bad Harzburg und die Sachsenklinik in Bad Lausick. Die Brandenburg Klinik Wandlitz kostete zweihundert Millionen Mark. Der bewachte Eingangsbereich blieb beim Umbau nahezu unverändert, aber aus dem Funktionärsclub wurde postwendisch das „Haus Barnim“, aus dem Ladenkombinat das „Haus Havelland“, die Unterkunft für die Wachmannschaften baute man zu einem „Apartment-Hotel“ um, und auch das „Haus Honecker“ wurde aufgerüstet.

„Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu erkennen: In diesem einst geheimnisumwobenen Ort entwickeln sich eine beispielgebende medizinische Einrichtung und eine touristische Perle“, heißt es dazu in einer Werbebroschüre. Es gibt dort nun eine Malschule, Minigolf, einen Skulpturen-Kurpark sowie einen Pub – aber Besucher und Mitarbeiter meinen: „Es ist noch immer irgendwie alles halb militärisch – hat einen Ghettocharakter, eine komische tote Atmosphäre.“

Pro Jahr hat allein die Orthopädie/Neurologie mit zweihundert Betten einen Durchlauf von 1.700 Rehabilitanten. In der Kinder-Onkologie werden auch krebskranke Kinder aus den GUS-Staaten betreut. In die kardiologische Abteilung mit 140 Betten kommen viele Frischoperierte – aus der Charité, aus Bernau und dem Wedding, den herzchirurgischen Zentren. Bei ihnen muß immer wieder mit Komplikationen gerechnet werden.

Es gibt nur zwei Überwachungsbetten im „Haus Barnim“, und die Schwestern sind nicht speziell ausgebildet. Außer dem Bereitschaftsarzt arbeitet nur ein Anästhesist dort – und das nicht dauernd. Der Bernauer Bezirk wird ansonsten von einem einzigen Notarzt versorgt. Besonders nachts könnten sich daraus prekäre Situationen ergeben.

Zudem sind die Löhne in der privaten Reha-Klinik schlecht: Ein Assistenzarzt verdient nicht viel mehr als eine Krankenschwester im öffentlichen Dienst: etwa 3.000 Mark netto. Die Schwestern bekommen in Wandlitz rund 2.000 Mark, in der Kardiologie haben sie keinen richtigen Aufenthaltsraum. Die Klinikleitung scheint also an den falschen Stellen zu sparen: „Es ist generell alles zu knapp hier bemessen“, meint denn auch eine bis vor kurzem dort Beschäftigte. „Das geht bis in Kleinigkeiten: Einmal haben sie mir z.B. an mein falsch geparktes Auto gleich eine Kralle rangemacht, statt mir einfach Bescheid zu sagen. Dafür kommen die Firmenchefs mit dikken Westautos vorgefahren, es sind keine Mediziner.“

In ihrem Klinikkatalog bescheinigen sie sich „Kompetenz in Gesundheit“. Unter „Wandlitz und seine Besucher“ erwähnen sie den Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer, Bundeskanzler Helmut Kohl, seine Frau Hannelore, die Ministerin Regine Hildebrandt, die Ostpolitikerin Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und Dr. Herbert Rische sowie – namenlos – eine Reihe von Chefärzten, Ärzten und Schwestern aus Minsk/Weißrußland.