Halb Belgien ist beschlagnahmt

■ Hühner, Eier, Schweine, Rinder: Alle stehen unter Dioxin-Verdacht. Aber auch die Milch stillender Mütter ist dioxinbelastet. Woher kommt das Gift wirklich?

Berlin (taz) - Der Handel mit Rindern und Schweinen aus Belgien wird nach einem Vorschlag der EU-Kommission europaweit gestoppt. Die endgültige Entscheidung fiel gestern nach Redaktionsschluß, wurde aber als sicher erachtet. Der Vertrieb von belgischen Hühnern, Eiern und Produkten daraus war schon vorher untersagt worden, weil darin stark erhöhte Werte krebserregender und giftiger Dioxine gefunden wurden. Betriebe dürfen nur noch exportieren, wenn sie ihre Dioxin-Freiheit nachgewiesen haben.

Wegen des internationalen Handels mit Tierfutterbestandteilen sind auch Geflügelzüchter in den Niederlanden und Frankreich unter Beobachtung gestellt worden. 66 französische Rinderzüchter durften gestern ihre Produkte nicht mehr ausliefern. Hierzulande löste der Befund Besorgnis aus, daß auch ein großer niederländischer Futtermittelhersteller mit deutschen Abnehmern vermutlich Kunde in Belgien war.

Woher das Dioxin kommt, war gestern noch ungeklärt. Es könne ein Problem in der Fettschmelze in Flandern aufgetreten sein, hieß es lapidar. Die Besitzer der Schmelze sind derzeit in Haft.

Michael Braungart, Leiter der European Protection Encouragment Agency (EPEA) in Hamburg, hat die Ergebnisse der ersten Dioxin-Hühner-Tests gesehen. Für ihn ist klar: Aus Motoröl stammen die Rückstände nicht. „Für die Herkunft aus Altöl zeigen die Meßergebnisse viel zu niedrige Werte an PCB oder Furanen“ - das sind wie auch Dioxin Chlorverbindungen. „Wie es aussieht“, so Braungart weiter, „stammen die Dioxine in den Proben aus Verbrennungsprozessen, also zum Beispiel aus den Filtern von Müllverbrennungsanlagen.“

Auch in Stahlwerken sammeln sich allerhand Dioxine mit der gefundenen Verteilung in den Rückhalteanlagen an. Die stammen zum Beispiel aus dem Unterbodenschutz von recycelten Schrottautos. Dafür wird PVC verwendet, eine weitverbreitete Chlorverbindung, bei deren Verbrennung Dioxine entstehen. Die bei der Rauchgasreinigung entstehenden Rückstände sind stark kalkhaltig. Und Kalk wiederum ist ein höchst erwünschter Zusatz im Hühnerfutter. So könnten die Filterstäube billig entsorgt worden sein, vermutet Braungart.

Die Dioxin-Werte, wegen denen Tiere beschlagnahmt werden, müßten vor allem auch stillende Mütter beunruhigen: Der Dioxin-Gehalt in Muttermilch liegt 30 bis 300 mal über dem Wert, den internationale Gesunheitsorganisationen für die tägliche akzeptable Aufnahmemenge halten. Das liegt im Bereich, der nun bei den belgische Eiern und Viechern für die harschen Maßnahmen sorgt. Michael Braungart: „In 17 Jahren Laborerfahrung habe ich nicht einmal eine Muttermilchprobe erlebt, die als Trinkmilch zugelassen würde. Menschen nehmen vor allem über tierische Fette, aber auch über die Atemluft Dioxine auf und speichern sie in ihr Fettgewebe ein. Nur beim Stillen gibt der Körper die Dioxine dann wieder frei.

Trotzdem empfehlen die Nationale Stillkommission und Ärzte wie der Privatdozent Volker Hanf von der Uni-Frauenklinik in Ulm den Müttern dringend zu stillen: „Muttermilch hat als die natürliche und beste Säuglingsnahrung viele Vorteile, die auf absehbare Zeit von Ersatzmilchprodukten nicht kompensiert werden können“, so Hanf. So enthält die frühe Muttermilch wertvolle Immunstoffe (siehe auch im Internet www.difa-forum.de/medizin/hanf.html).

Die Mutter gibt zwar während einer sechsmonatigen Stillzeit etwa ein Drittel ihrer fettlöslichen Giftstoffe an den Säugling ab. Doch schon bei Fünfjährigen ist kaum noch ein Unterschied im Fettgewebe mehr festzustellen zwischen Flaschen- und Brustkindern. Schadstoffe wie PCB oder Dioxine aus der Muttermilch spielen eine kleinere Rolle als die Aufnahme durch die Luft und das Essen, der ja alle unterliegen. Reiner Metzger