Todeshatz ist Ansichtssache

Heute beginnt der Prozeß gegen elf rechte Jugendliche, die im brandenburgischen Guben den Algerier Omar Ben Noui zu Tode jagten – fahrlässig oder vorsätzlich?  ■   Aus Berlin Jens Rübsam

Der junge Mann, der am Samstag in Berlin aus dem Flugzeug stieg, betrat erstmals deutschen Boden. Personenschützer nahmen ihn in Empfang.

Die Maßnahme, veranlaßt von der Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg und einem Verein, der sich um Opfer rechtsextremer Gewalt kümmert, war wohlbedacht. Der junge Mann, Malik G., ist Algerier – im Märkischen schon Grund genug, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Für 1998 weist die Statistik der Landesregierung 308 Straftaten mit rechtsextremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund aus, fast an jedem Tag eine.

Daß das, was in den frühen Morgenstunden des 13. Februar dieses Jahres in der Kleinstadt Guben geschah, sogar in der New York Times ausführlich Platz fand, lag wohl nur daran: Die Hetzjagd rechter Jugendlicher kostete einen Ausländer das Leben, zwei weitere kamen „mit dem Schrecken“ davon. Der 28jährige algerische Asylbewerber Omar Ben Noui verblutete bei dem Versuch, sich vor Neonazis in Sicherheit zu bringen. Malik G., älterer Bruder von Omar Ben Noui und Nebenkläger im heute beginnenden Prozeß, erfuhr davon aus dem algerischen Fernsehen. „Er hatte sehr viel Angst, nach Deutschland zu kommen“, sagen die, die ihn derzeit hier betreuen. „Er sieht an jeder Ecke Rechte.“

Heute wird vor dem Landgericht Cottbus der Prozeß gegen die elf an der Hetzjagd beteiligten Jugendlichen eröffnet. Inwieweit allerdings Nebenkläger Malik G. Näheres über Tathergang und Motive der Täter erfahren wird, ist fraglich. Denn das Gericht will zunächst – bis Anfang Juli – nur über jene Straftaten (Körperverletzung, Diebstahl, Freiheitsberaubung) verhandeln, die fünf der Angeklagten im Zeitraum von September bis November 1998 begangen haben sollen. Das Visum aber, das Malik G. zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt, wird nach 30 Tagen ablaufen, also Anfang Juli. Die Berliner Rechtsanwältin Regina Götz, Vertreterin der Nebenklage, findet die Vorgehensweise der Cottbuser Kammer „problematisch“ – wie auch einige Punkte, die in der Anklageschrift zu lesen sind.

Angeklagt sind die elf Jugendlichen zwischen 17 und 20 Jahren wegen fahrlässiger Tötung. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor: Sie hätten voraussehen können, daß Omar Ben Noui verunglückt, sie hätten seinen Tod vermeiden können. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen jedoch nicht zur Last, an jenem Samstag morgen die Absicht gehabt zu haben, Omar Ben Noui zu töten. „Eine vorsätzliche Tötung hätte man nicht nachweisen können“, sagt eine Oberstaatsanwältin. „Ansichtssache“ nennt das die Rechtsanwältin Götz. Denn „daß ein Mensch, wenn man ihn mit dem Auto hetzt, zu Tode kommt, ist nicht gerade ungewöhnlich, und das weiß man auch.“

Nicht zugelassen wurde von der Kammer – wie von der Staatsanwaltschaft beantragt – der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Gewalttätigkeiten, die aus der massenpsychologischen Situation einer Menschenmenge heraus entstehen, sei nicht gegeben gewesen. „Elf Personen“, begründet ein Sprecher des Landgerichts, „sind noch keine unübersichtliche Menge.“ Regina Götz sieht das etwas anders: „Bei jedem linken Grüppchen wäre es zu so einer Anklage gekommen. In Berlin sind schon zehn Personen eine unübersichtliche Menschenmenge.“

So verschieden die Ansichten von Staatsanwaltschaft, Kammer und Rechtsanwältin, so verschieden auch die Meinungen darüber, welche Auswirkungen der 13. Februar auf Guben hatte. Honoratioren aus dem Rathaus sehen „den Schock überwunden“ und die „Normalität“ in die Stadt zurückgekehrt. Der Stadtrat hielt eine Sondersitzung zum Thema Jugendarbeit ab. Das Aktionsbündnis „Gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ plant eine Fachtagung zum Thema akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen. Das Asylbewerberheim muß nicht mehr abgeschlossen werden.

Die örtliche Antifa-Gruppe und Mitarbeiter der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen registrieren dagegen „ein Erstarken der Neonazis in Guben“ und einen „Schulterschluß“ der vorher zerstrittenen rechten Cliquen. Anzeichen dafür seien Vorfälle in den Wochen danach: In einer Spielothek werden vier kurdische Flüchtlinge von Rechten angepöbelt; ein Flüchtling wird von Rechten durch die Bahnhofstraße gejagt; Rechte provozieren vor dem örtlichen Asylbewerberheim.

Der Prozeß ist auf 31 Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil wird Anfang November erwartet.

Rechtsanwältin Götz: „Daß ein Mensch, wenn man ihn mit dem Auto hetzt, zu Tode kommt, ist nicht gerade ungewöhnlich“