Zum Glück war es kalt

Meteorologen machen Kahlschlag für Jahrhunderthochwasser in Bayern verantwortlich. Beckstein: „Einzigartiges, nicht vorhersehbares Ereignis“  ■   Aus Memmingen Klaus Wittmann

Mindestens sechs Todesopfer, ein Sachschaden von mehr als 2,1 Milliarden Mark und monatelange Aufräumarbeiten – das ist die erste Bilanz des verheerenden Pfingsthochwassers in Bayern. Über 100.000 Menschen sind nach Angaben des bayerischen Umweltministeriums betroffen, 25.000 Häuser wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser kündigte gestern steuerliche Entlastungen für die Betroffenen an.

Nachdem die Flutwelle zunächst Oberbayern und das Allgäu überschwemmt hatte, überrollten die Wassermassen die Flußmündungen, unter anderem des Lech, der Wertach und der Iller bei Neu-Ulm und Augsburg. Auch die Innenstadt von Neuburg an der Donau wurde von einer Rekord-Flutwelle überschwemmt. Der älteste Bürger der Stadt, der 101jährige Anton Göbel, sagte, ein Hochwasser wie dieses habe er noch nie erlebt. Das bestätigen die amtlichen Aufzeichnungen. Beim bisherigen Jahrhunderthochwasser 1965 war der Pegelstand einen Meter niedriger gewesen als heute.

Auch vom Bodensee wird ein Jahrhunderthochwasser gemeldet. Dort liegt der Pegel zwei Meter über Normalniveau. Nahe des Bodensees im österreichischen Bundesland Vorarlberg wurde durch eine Geröllawine eine Phosphorgranate aus dem Zweiten Weltkrieg freigelegt. Austretender ätzender Rauch verletzte neun Personen. Sie mußten wegen Atemwegs- und Augenreizungen behandelt werden.

In Regensburg wurde die Altstadt überflutet, bei Passau stand die Donau vergangene Nacht drei Meter höher als normal. Am Dienstag nachmittag ging man davon aus, daß die flußabwärts liegenden Donaustädte diesmal nicht so schlimm betroffen sein würden, weil der Inn derzeit wenig Wasser führe. „Das Glück war diesmal, daß die Schneefallgrenze mit 2.200 Metern recht weit unten lag. Hätte sie 1.000 Meter höher gelegen, wäre das Hochwasser mehrere Dezimeter höher gewesen“, sagte der Münchner Wetterexperte Kai Zorn. Sowohl der bayerische Innenminister Beckstein als auch die Umweltstaatssekretärin Christa Stewens sprachen von einem „einzigartigen Jahrhundertereignis“, das einfach nicht vorherzusehen war. Dem stimmt zwar auch Zorn zu, weist aber darauf hin, daß sich jetzt auch verheerende Fehler im Wasserbau und Waldbau rächen würden. „Es wurden vor allem in den Alpen einfach zu viele Bäume abgeholzt.“ Noch schlimmer seien die „unsäglichen“ Flußbegradigungen.