Der Preis der Moral

Wie kaum ein Entwicklungsland macht sich Uganda die Bekämpfung der Korruption zur Aufgabe. Die Folgen könnten das politische System von Präsident Museveni untergraben  ■ Aus Kampala Dominic Johnson

Austin Bukenya, Literaturdozent an der Makerere-Universität in Ugandas Hauptstadt Kampala, hat seinen Studenten eine originelle Aufgabe gestellt. „Was würde ich geben, um eine Bank zu retten?“ lautet das Thema, über das sie eine geschliffene Satire schreiben sollen. Vor wenigen Wochen wurde nämlich die Greenland Bank, Ugandas populärstes Finanzhaus, von der Zentralbank geschlossen. Angesichts des öffentlichen Aufschreis hat Salim Saleh, Bruder des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni und einer der Haupteigentümer von Greenland, eine bizarre Initiative gestartet: Um Geld für die Rettung der Bank zu sammeln, verlost er seinen neuen roten Landrover im Wert von 140.000 Mark und fordert seine Landsleute auf, es ihm gleichzutun.

„In Gesellschaften, die ihre Identität suchen, hat Satire einen besonderen Wert“, sagt der Dozent und grinst hinter seinem Schreibtisch. „Manche Realitäten unseres öffentlichen Lebens sind so bitter, daß man sie aufweichen muß, um sich zu schützen. Moralisieren können wir uns nicht leisten. Laßt uns darüber lachen!“

Ugandas Greenland-Affäre ist eher bitter als lustig. Am 1. April schlossen bewaffnete Posten die Türen der „Greenland Towers“ im Herzen Kampalas. Seitdem kommt kein Kunde mehr an sein Greenland-Konto, und weil keine ugandische Bank so viele Kunden hat wie Greenland, bedeutet das für viele den Ruin. Die offiziellen Gründe – ungedeckte Kredite und unklare Aktiengeschäfte – haben in der Öffentlichkeit vor allem einen Eindruck hinterlassen: Die da oben sind alle korrupt.

„Korruption“ ist der Allzweckbegriff, mit dem Ugandas Gesellschaft dieser Tage ihre Identität zu charakterisieren versucht. „Korruption“ ist, wenn der Richter den Direktor von Greenland auf Kaution freiläßt. „Korruption“ ist, wenn ein freier Journalist sein Honorar nur dann bekommt, wenn er vorher ein Greenland-Konto eingerichtet hat. „Korruption“ ist aber auch, wenn der Reisende im Minibus über den Fahrpreis schimpft.

„Korruption“ ist zum Synonym für nahezu jeden marktwirtschaftlichen Vorgang geworden. „Korruption“, sagt Victoria Mukasa, Leiterin eines Medieninstituts in Kampala, „ist nichts Schlechtes mehr. Die Leute sind daran gewöhnt, sie erwarten es. Es ist eine Lebensart.“

Das ist ein Problem für eine Regierung, die ihre Legitimation vor allem aus dem Erfolg ihrer marktwirtschaftlichen Politik zu gewinnen versucht. Präsident Museveni ergriff Anfang 1986 als Führer der Guerillabewegung National Resistance Army die Macht. Damals war das Land von Jahrzehnten blutiger Diktatur und Bürgerkrieg völlig zerstört. Die neue Regierung verbot Parteien, um die alten regionalen Gegensätze zu überwinden, und setzte einen Prozeß der Wirtschaftsreformen in Gang, um eine neue Mittelklasse aufzubauen. Das hat funktioniert: Uganda befindet sich im Boom.

Die Wirtschaft wächst mit Jahresraten von um die sieben Prozent, neue Bürotürme haben die Skyline von Kampala verändert, und anders als noch vor wenigen Jahren herrscht im Zentrum der Hauptstadt ein permanenter Verkehrsstau. Auf dem Land ist der Fortschritt noch augenfälliger. Überall wird gebaut. Neben alten Lehmhütten entstehen nicht etwa neue Lehmhütten, sondern neue Ziegelhäuser. In den entlegensten Dörfern gehen die Kinder zur Schule, dank des neuen, kostenlosen Grundschulprogramms.

Doch der marktwirtschaftliche Ethos hat die Ugander vor allem eines gelehrt: Um zu bestehen, muß man sich gut verkaufen. Am einfachsten geht das mit der Pflege von Statussymbolen. Wer als Hauptstadtbewohner etwas auf sich hält, läuft mit Handy herum und verzichtet lieber auf ein vernünftiges Abendessen als auf diesen sündhaft teuren Spaß. Und es werden nicht nur Äußerlichkeiten gepflegt. Die Ugander arbeiten sich zugrunde. Sie hetzen durch Kampala, als hinge ihr Leben davon ab. „Wenn du kämpfst, gewinnst du. Wenn du schläfst, schläft dein Geld auch!“ erläutert ein atemloser Unternehmer. Das ist die Museveni-Ideologie: Marktwirtschaft als Fortsetzung des Guerillakrieges mit anderen Mitteln. Und manche nehmen das Bedürfnis, sich zu verkaufen, eben ein bißchen zu wörtlich.

Schlimm ist das nur, wenn es zum Wucher ausartet. Man stellt sozusagen Preisvergleiche an. Die „kleine Korruption“, Überlebensinstrument der Bürger, ist akzeptabel; die „große Korruption“, Bereicherungsinstrument der Mächtigen, nicht. Wer die strengen Regeln der Marktwirtschaft kennt, nimmt deren Umgehung durch andere nicht mehr hin. Mit einem historisch einmaligen Drang zur Sauberkeit werden daher Finanzskandale diskutiert und Schuldige geoutet. Nicht die Korruption ist in Uganda gewachsen, sondern die Bereitschaft, sie zu kritisieren. Kaum ein Land in Afrika geht mit der Moral seiner Mächtigen so schonungslos um.

Die Stelle, an der die Schonungslosigkeit zusammenläuft, ist das Büro des Generalinspekteurs der Regierung. Jotham Tumwesigye, seit November 1996 Inspector General of Government (IGG), sitzt im zweiten Stock des Betonklotzes, wo die herrschende National Resistance Movement (NRM) ihren Sitz hat. Sich selbst beschreibt Tumwesigye mit schelmischem Lächeln als „eine Mischung aus Ombudsman und Kenneth Starr“. Etwa dreißig Menschen hat er bisher nach eigener Schätzung hinter Gitter gebracht, darunter den Polizeichef von Uganda.

Tumwesigye ist der Liebling der internationalen Geldgeber, die ihn kräftig unterstützen. Dieses Jahr wächst der Haushalt des IGG um 60 Prozent, sein Ermittlerteam wird von 60 auf 110 aufgestockt. „Ich werde mit der Regierungsbürokratie hart umspringen!“ droht er und lacht. Er durchleuchtet auch Institutionen, die sonst als Tabu gelten, wie die Präsidentschaft oder die Armee. „Wir haben da viel Geld gefunden“, erinnert er sich an seine Razzia in Musevenis Amtssitz, die mit einer Art Zwangsverwaltung endete: „Die Leute scherten sich kein bißchen um Regeln. Rechnungen und Aufträge fehlten, es gab keine Buchhaltung, also froren wir sämtliche Auszahlungen ein.“ Umgerechnet etwa zwölf Millionen Mark, sagt er, wurden dort veruntreut. Und Tumwesigye interessiert sich für das größte Tabu des Staates: der massive Schmuggel, den Ugandas Armee in der Demokratischen Republik Kongo betreibt. „Die Armee ging nicht zum Handeln in den Kongo, sondern zum Kämpfen. Ich habe mit dem Generalkommissar der Steuerbehörde geredet; er sagt, daß tatsächlich geschmuggelt wird, die Leute importieren Güter per Flugzeug und zahlen keinen Zoll. Er wird etwas unternehmen. Geschäftemachen lenkt die Armee von ihrer eigentlichen Aufgabe ab.“

Daß der Aufräumeifer aus der regierenden NRM selbst kommt, ist kein Zufall, sondern Schadensbegrenzung. Seit etwa einem halben Jahr ist Ugandas Parlament dabei, selbstsicher und ungezwungen wie sonst kaum eine Legislative eines Entwicklungslandes korrupte Kabinettsminister zu outen und zu stürzen. Aktiv sind vor allem die sogenannten jungen Abgeordneten – also die, die mit den ersten freien Wahlen 1996 ihr Mandat erhielten und nicht dem indirekt gewählten Vorgängergremium Nationaler Widerstandsrat (NRC) angehörten. „Wir haben die moralische Autorität“, sagt Onyango Kakoba, Leiter des „Verbandes junger Parlamentarier“, der nach eigenen Angaben 94 der 279 Abgeordneten vereint. „Die Alten haben etwas zu verbergen.“

Paradoxerweise ist es gerade Ugandas Nichtparteiensystem, das dieses starke Parlament hervorgebracht hat. Theoretisch gehören alle Ugander der herrschenden NRM an, dem sogenannten Movement. Die alten politischen Parteien existieren noch, doch dürfen Kandidaten zu Wahlen nur als Einzelpersonen antreten. Dennoch gelten etwa 60 Parlamentsabgeordnete als Anhänger der alten Parteien. Und gerade das Fehlen einer formalisierten Parteienstruktur gibt den Parlamentariern Freiheit. Keine Fraktionen bedeuten eben auch keine Fraktionsdisziplin.

Kakoba weiß, daß seine „jungen Wilden“ bei Präsident Museveni anecken. „Der Präsident sagt: Statt die Korruption öffentlich im Parlament zu bekämpfen, sollten wir sie vorher in der Movement-Fraktion diskutieren“. Aber dazu müßte es eine Movement-Fraktion geben – also doch ein Mehrparteienparlament. „Das Movement ist keine politische Partei!“ empört sich Kakoba. Noch eine Realsatire: Im Namen der Demokratie und der Gewaltenteilung verwahrt sich ein Abgeordneter gegen das Mehrparteiensystem, während die Staatsspitze beginnt, die politische Landschaft in Parteien aufzuteilen, um per Mehrheitsfraktion ungestört regieren zu können.

Diese Option, eigentlich die Forderung von Musevenis Gegnern, wird tatsächlich in hohen Movement-Kreisen diskutiert. Aber nächstes Jahr ist erst einmal ein Referendum über die Beibehaltung des Movement-Systems angesetzt. Ein Mehrparteiensystem wird wohl frühestens nach den Präsidentschaftswahlen 2001 ins Gespräch gebracht werden.

Das bedeutet noch ein paar Jahre Stillstand. Kann sich Uganda das leisten? Die wenigen, die darüber nachdenken, sind skeptisch. Tim Wangusa, Literaturprofessor an der Universität und Oppositionsanhänger, sieht in der Bevölkerung „ein Gefühl der Niedergeschlagenheit“. Der Publizist Charles Onyango-Obbo, einer der renommiertesten Intellektuellen des Landes, konstatiert politische Paralyse: „Uganda ist das einzige Land in Afrika, das mehrere Kriege durchgemacht und sich danach wiederaufgebaut hat. Man muß Museveni dafür loben, was für unheimliche Möglichkeiten er in einer Gesellschaft geschaffen hat, die zerfallen war. In einer solchen Übergangszeit ist eine Politik, die alle einschließt, sehr gut. Aber sein größter Fehler war, diesen Prozeß einzufrieren. Er bietet keine Führung mehr. Heute, nach zehn Jahren, gibt es überall eingefahrene Interessen.“

Aber die Leute sind zu sehr mit dem persönlichen Fortkommen beschäftigt, um sich Gedanken über Politik zu machen. Es bleibt die Satire. Gefragt, welches Werk der Weltliteratur er am liebsten zur Diskussion der ugandischen Gegenwart zur Hand nehme, antwortet Literaturprofessor Wangusa wie aus der Pistole geschossen: „Animal Farm“. In George Orwells bitterer Novelle über die egalitäre Gesellschaft geht es nicht nur darum, daß auf der Farm der Tiere einige Tiere gleicher sind als die anderen. Sondern auch darum, daß die anderen sich dumm und dämlich schuften und kaum dazu kommen, sich zu fragen, warum ihr Leben nicht leichter wird.

Korruption ist der Allzweckbegriff, mit dem die ugandische Gesellschaft dieser Tage ihre Identität zu charakterisieren versucht