Die Rebellin unter den Genossen

Am Sonntag ist Bundespräsidentenwahl. Uta Ranke-Heinemann heißt die Kandidatin der PDS. Man hält der West-Theologin vor, sie lasse sich von den Genossen benutzen. Ist es der Pazifistin mit dem forschen Mundwerk gelungen, ihre Bewerbung gegen den Krieg zu instrumentalisieren? Ein Porträt  ■ von
Jens Rübsam

Vorm heimischen Herd verschlägt es der Hausherrin für einen Moment die Sprache. Mit einem Wer-wie-was-warum-Blick lugt sie in den Topf : Wie macht man nur Erbsensuppe und Würstchen warm? „Zwei Minuten leise kochen“, empfiehlt der Hausherr aus dem Wohnzimmer heraus. Geschäftig sucht Uta Ranke-Heinemann, 71, derweil die Schöpfkelle.

Es ist Sonntag mittag, und im Hause Ranke-Heinemann gibt es Aldi-Suppe aus der Dose. „Ich kann nicht kochen, und ich komme nicht mehr zum Einkaufen“, entschuldigt sich die Essenerin, die nach dem Wunsch der PDS künftig im Berliner Schloß Bellevue speisen soll. Wie verrückt schellt seit Wochen das Telefon: Deutsche Welle, ARD, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, die taz. Sie bittet die Journalisten höflich, „etwas zu essen mitzubringen“.

Was wie eine Verabredung zu einer Spontanparty bei Kumpeln klingt, ist die Art von Uta Ranke-Heinemann, Gespräche mit Presseleuten zu führen: Man nimmt Platz am Eßtisch, läßt sich erklären, warum die Küche gefliest ist und warum an den Fliesen Bilder hängen, wieso die Decke ein Apfelsinenhimmel ist und auf welchem Stuhl Gregor Gysi saß – auf einem grünlackierten Bistrostuhl, an dessen Lehne nun ein gelber Wischlappen hängt. Es soll Journalisten geben, die darum bitten, auch auf diesem Stuhl sitzen zu dürfen.

Die Erbsensuppe ist längst kalt. Und was hat man bisher im Block stehen über die PDS-Kandidatin für das höchste Amt im Staate, über die Tochter des einstigen SPD-Bundespräsidenten Gustav Heinemann? Nur Theologisches. Nur Anekdötchen.

Am Vormittag saß Uta Ranke-Heinemann, in Leggins und im Aldi-Pulli (11,95 Mark), vor dem Computer, in einer Pose, als sei sie siebzehn Jahr: auf dem Stuhl drei Kissen, die Beine ausgestreckt nach vorn, die Füße auf dem Schubfach unter der Tischkante wippend. Sie tippte ein und korrigierte. Ihr Verlag wünscht eine überarbeitete Auflage ihres Buches „Eunuchen für das Himmelreich“. Geschwind las sie vor: „Die falsche deutsche Übersetzung von 1. Korinther 6,9 mit 'Knabenschänder' ist eine Entschärfung des Wortes Gottes und damit ein spätes Glück für die deutschen Homosexuellen, weil sie so tut, als seien im Neuen Testament bei Paulus nur die Knabenschänder als des Todes würdig bezeichnet.“

Zwischen den Sätzen waren der weltweit ersten Professorin für Katholische Theologie heftige Seufzer entflohen. Die Kirche! Der Papst! Von beiden kann sie nicht lassen. Auch in diesen Tagen nicht, in denen die Journalisten sie eigentlich befragen wollen über die PDS, über Bisky und Gysi und über Politik. Politik, wird sie später keck zu Protokoll geben, „Politik interessiert mich nicht“.

Also fragte man sie erst einmal nach ihren weißen Handschuhen und nach ihrem apfelgrünen Lederkostüm – um ihr Gelegenheit zu geben, ihre Wortberge abzutragen. Aber auch in der Hoffnung, irgendwann einmal den Fuß des Berges zu erreichen. Sie erzählte, immer in Transrapid-Geschwindigkeit, daß diese weißen Handschuhe, die sie stets trägt, keineswegs ein Zeichen von Arroganz sind, sondern Schutz. Schutz ihrer Hände, die oft, wegen eines Ekzems (Cortison-Schaden), gerissen sind. Flirtend plauderte sie danach von ihrem grünen Kostüm, ihrer „Erkennungsmelodie“.

Mit der Frau eines SPD-Ministers fuhr sie vor langer Zeit zu einem Empfang des schwedischen Königs Gustav. Die Dame, schon einmal Gast des Königs, hat nicht zweimal im selben Abendkleid erscheinen wollen und trug nun ein neues zur Schau. „Ich fand es irrsinnig, daß diese Frau einem so alten Herrn, der bald sterben würde, ersparen wollte, unter tausend geladenen Gästen einen Gast zweimal im selben Kleid zu sehen.“

Warum machen das Frauen? fragte sie sich damals. Um aufzufallen! fand sie heraus – und kam zu der Erkenntnis: daß diejenige mehr auffallen müßte, die immer dasselbe Gewand trägt. Seitdem tritt Uta Ranke-Heinemann nur noch in grün gekleidet vor Kameras. 450 Mark kostete das Kostüm, im Ausverkauf.

Und dann an diesem Sonntag, es war Mittagszeit, wollte die Erbsensuppe mit Würstchen bereitet werden. Nach „zwei Minuten leise kochen“ stand der Topf auf dem Tisch. Auch die Schöpfkelle ward gefunden.

„Frau Ranke-Heinemann! Lassen sie uns doch jetzt über die PDS sprechen!““Wollen Sie nicht noch ein Eis lutschen?“

„Nein, nein. Lassen Sie uns über die PDS reden!“ „Wenn Sie jetzt fragen, was PDS heißt, kriege ich das so schnell nicht auf die Reihe. Meistens sage ich doch SPD. Es ist ja nicht so, daß ich mich mit dieser Partei beschäftige. Aber ich finde es arrogant zu sagen: Das ist die Nachfolgepartei von der ehemaligen ... Was ist denn das für eine Siegermentalität?“

„Warum haben Sie, wenn Sie Politik und die PDS nicht interessieren, ja gesagt zur Kandidatur?“ „Mir geht es darum zu sagen: 'Hört auf zu bomben.' Und tatsächlich, Sie sind aus Berlin gekommen, um diesen primitiven Satz zu notieren. Hätten Sie mich denn sonst um meine Meinung zum Krieg gefragt?“Hätte ich?

Gesetzt den Fall, die Journalisten hätten Uta Ranke-Heinemann, Pazifistin in Person, früher um ihre Meinung zum Krieg gebeten und sie hätte in der deutschen Öffentlichkeit sagen können: „Hört auf zu bomben“, und sie hätte das in allen Zeitungen und auf allen Kanälen lesen und hören können – womöglich wäre es ihr furchtbar egal gewesen, daß wenige Wochen nach Beginn der Bombardements ein Herr Bisky, den sie nicht kannte, anrief und ihr im Annoncenstil ein Anliegen vortrug: „Suche friedensbewegte Frau aus dem Westen, die Bundespräsidentin werden will.“ Denn Bundespräsidentin wollte sie nie werden, wenngleich sie heute findet: „Das Bundespräsidialamt hätte etwas Besseres verdient als Bombenbefürworter.“

Gesetzt all diese Fälle – mit Sicherheit wären Uta Ranke-Heinemann einige Peinlichkeiten erspart geblieben: Hingestellt zu werden als naive Pazifistin, die nichts weiß oder nichts wissen will von den Schüssen an der Mauer, die die Genossen zu verantworten haben; ausgelacht zu werden als eine, die sich von der PDS benutzen läßt, damit die sich auch weiterhin als die einzige Antikriegspartei profilieren kann; verhöhnt zu werden als eine, die aus einer Institution mit Würde ein Kasperletheater macht. Denn ihr kleiner Satz „Hört auf zu bomben“ ist es durchaus wert, gehört und in Kommentaren nicht verhohnepipelt zu werden – er ist ehrlich gemeint.

Man kann das daran festmachen, daß sie in den Momenten, in denen sie vom Krieg in Jugoslawien redet, nicht gackert und nicht krächzt und ihre Stimme nicht beschwingt klingt, als schwatze sie heiter das nächste Anekdötchen herunter. Seit Wochen kann sie das Feuer und den Rauch riechen, wenn sie die Bilder aus Jugoslawien im Fernsehen sieht. Sie erinnert sich an das Tagebuch ihrer Mutter, die einst in Zweiter-Weltkrieg-Zeiten schrieb: „Die anderen drei Kinder weinen nach dem Bombenangriff. Nur Uta ist ganz ruhig und räumt Schutt weg.“

Einen Krieg hat Uta Ranke-Heinemann erlebt. Gegen mehrere hat sie spektakulär demonstriert, auch vor Ort. In Nordvietnam forderte sie 1972 ein Napalmverbot. Gut zehn Jahre später sah man sie im Bonner Hofgarten gegen die Nato-Nachrüstung protestieren. Im gleichen Jahr, wieder in Friedensmission, reiste sie nach Moskau. „Rebellenblut“ nannte sie einst ihr Vater, der Bundespräsident.

Nun sitzt sie da in ihrem Essener Einfamilienhaus, schreibt wie eh und je gegen den Papst an – großes Aufsehen erregt sie damit nicht mehr – ,und wieder ist Krieg, wieder werden Raketen abgeschossen, wieder fallen Bomben. „Ich könnte kotzen!“ schwappt es aus ihr heraus. Über Politiker, die wie „im Chor ein Loblied auf die Nato-Strategie“ singen. Über Journalisten, die jetzt fragen, welche Alternative es denn gibt zum Krieg. „Es gibt eine Alternative“, faucht sie bissig, „die Alternative heißt: Keine Bomben.“

Vor Wochen hat sie keiner nach ihrer Meinung und ihren Alternativen zum Krieg gefragt. „Und einfach bei AP anrufen und sagen: 'Ich habe eine Meldung für Sie'“ – das hätte ihr Stolz nicht zugelassen. Nunmehr aber, da sie für die PDS ins, zugegebenermaßen aussichtlose, Rennen um Schloß Bellevue geht und auch noch gegen ihren angeheirateten Neffen Johannes Rau antritt, schreiben die Agenturen Porträts mit so schönen Titeln wie „Für den Frieden macht Uta Ranke-Heinemann alles“. Ziel erreicht.

Sie eilt aus der Küche und kehrt mit einem dicken Aktenordner zurück. „Viel Post“ hat sie in den vergangenen Wochen bekommen, soviel Post wie schon lange nicht mehr. Eine semantische Korrektur möchte man vornehmen: So viel Anerkennung wie lange nicht mehr hat Uta Ranke-Heinemann bekommen. Anerkennung, die sie braucht. Ein Forum von Künstlerinnen möchte seine „Solidarität bekunden“, ein Herr möchte „ein Foto mit persönlicher Unterschrift“, ein junger Mann einfach nur „ein Autogramm“. Freilich, dazwischen finden sich auch Briefe mit harscher Kritik. Ein CDUler aus Essen wirft ihr „Eitelkeit“ und „keine politische Grundhaltung“ vor. SPDler meinen, ihr Vater würde sich „im Grab umdrehen“, wenn er von dem PDS-Ticket wüßte. Zwei Kreisverbände der Partei „Die Frauen“ bitten sie „im Namen der Solidarität mit den Frauen, ihre Kandidatur zurückzuziehen“. Schweigen? Jetzt? Ausgerechnet in Kriegszeiten? Pah!

Da ist sie wieder, die forsche Uta Ranke-Heinemann, von der man den Eindruck hat, sie würde sich am liebsten an jeder Rakete anketten, um zu verhindern, daß diese abhebt.

Manchmal pflegt ihr Mann zu sagen: „Setz dich doch einfach mal ans Fenster und schaue hinaus“. Kratzbürstig blafft sie dann zurück: „Ich würde doch verrückt werden. Ich würde doch die Schatten der Verblödung über mich hinwegstreichen sehen.“ Sie ist eben eine Eilende – immer auf der Suche nach etwas, nur nicht wissend, was sie eigentlich sucht. Aus der evangelischen Kirche ist sie ausgetreten und 1953 zum Katholizismus konvertiert. Seitdem wettert sie gegen den Vatikan, der „eine entsexualisierte Homosexuellengemeinschaft ist“, schimpft sie auf den Papst, der hartnäckig an der Jungfrauengeburt Jesu festhält. „Ich kann nicht an die biologische Jungfräulichkeit Mariens glauben.“

Als ihr einmal vorgeworfen wurde, „bei Ihnen ist ja gar keine Linie im Leben zu erkennen“, da war sie doch recht bekümmert – allerdings nicht länger, als ein „Wort zum Sonntag“ dauert. „Ich denke nicht über mich nach“, sagt sie kategorisch immer wieder, „weil ich in dieser Zeit schon wieder hundert vernüftige Sachen machen kann.“ Es gibt Menschen, da gebietet es manchmal nur die Höflichkeit, nicht zurückzupoltern.

Es ist später Nachmittag geworden im Hause der Uta Ranke-Heinemann. Auf dem Küchentisch liegen nunmehr eine Menge Zettel, die sie während des Gesprächs in loser Folge überreicht hat. Einer präsentiert ihre Vita, in Kurz- und Langform, einer ihre Gedanken zum Kosovo. „Die Grünen“, steht da geschrieben, „haben ihr grünes Gewissen für das Linsengericht der Macht eingetauscht. Um den Bombentod von unschuldigen Menschen und von Kindern machen sie sich mit Rücksicht auf ihren Machthaber Fischer jetzt kein Gewissen mehr.“ Und: „Die Deutschen merken langsam, daß sie sich verwählt haben.“

Sie auch, Frau Ranke-Heinemann? „Ich habe nicht gewählt“, sagt sie kurz angebunden – und läßt wissen, daß sie das nur preisgibt, um nicht in den Verdacht zu kommen, schon zur Bundestagswahl der PDS ihre Stimme gegeben zu haben.

An diesem Sonntag hat Uta Ranke-Heinemann noch eine dringliche Sache zu erledigen. Ein Brief muß in den gelben Kasten um die Ecke. Empfänger: Internationaler Gerichtshof, Inhalt: eine Klage gegen die Bombardierungen der Nato. „Man muß“, sagt sie barsch, „schließlich etwas tun.“

„Wenn Sie jetzt fragen, was PDS heißt, kriege ich das so schnell nicht hin“, sagt Uta Ranke-Heinemann

„Suche friedensbewegte Frau aus dem Westen, die Bundespräsidentin werden will“, sagte PDS-Chef Lothar Bisky

„Sie sind eitel. Sie haben keine politische Grundhaltung. Ihr Vater würde sich im Grab umdrehen“, sagen Kritiker