Katastrophen wie Seveso wahrscheinlich

In einer internen Expertise warnt das Umweltbundesamt vor den ökologischen Schäden durch den Krieg in Jugoslawien. Die Fachleute erwarten „zum Teil großflächige Umweltschäden“  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Je länger der Krieg in Jugoslawien dauert, desto größer wird die Gefahr von langfristigen Schädigungen der Umwelt. Diese drohen sich über die Landesgrenzen hinaus auszubreiten und können möglicherweise nicht mehr vollständig beseitigt werden. Zu dieser Einschätzung kommt das Umweltbundesamt (UBA) in einem internen Papier, das sich mit den ökologischen Auswirkungen des Krieges in Jugoslawien befaßt und für die Vorbereitung des Treffens europäischer Umweltminister Anfang Mai in Weimar erstellt wurde. Katastrophen „wie Seveso und Sandoz“ sind nach Ansicht des Amtes „ein durchaus wahrscheinliches Schadensszenario“.

Das Umweltbundesamt betont, daß die Folgen von Bombardierungen industrieller Anlagen „ohne die exakte Kenntnis der Details“ nur schwer abzuschätzen seien. Dennoch steht für die Fachleute außer Frage, daß der Krieg weitreichende Konsequenzen haben wird: „Mit Sicherheit geht von den in Folge der Zerstörung von Industriestandorten entstandenen Altlasten eine weit über das Kriegsende hinausreichende Gefährdung der Menschen in den betroffenen Regionen aus.“

Umweltgifte, die nach Zerstörungen von Industrieanlagen austreten, könnten sich weiter ausbreiten. „Bei Sicherstellung sofortigen Handelns, das unter Kriegsbedingungen aber unmöglich ist, bleibt die Wirkung dieser Umweltschädigungen lokal begrenzt. Längere Verzögerungen führen zu einem Übertritt der Schadstoffe in die Schutzgüter Boden, Grund-und Oberflächenwasser, erhöhen das Gefährdungspotential für den Menschen und den Sanierungsaufwand beträchtlich.“

Um die Schäden zu begrenzen, müßte die Sanierung schnell erfolgen. Das UBA geht aber davon aus, daß dafür aber weder die Zeit noch das Geld vorhanden sind. „Es muß darauf hingewiesen werden, daß eine zivile Nutzung weiter Teile dieser Regionen wegen der Kontaminationen von Boden, Grund- und Oberflächenwasser nicht möglich sein wird.“

Die Experten des UBA verweisen darauf, daß nur wenige konkrete Informationen über bombardierte Industrieanlagen vorliegen und der Wahrheitsgehalt von Medienberichten derzeit nicht überprüfbar sei. Allerdings ließen sich allgemeine Aussagen über die Folgen von Bränden, Explosionen und der Freisetzung von Schadstoffen in Erdölraffinerien, Treibstofftanks, der chemischen Industrie, Kraftwerken und der Düngemittelindustrie treffen.

Diese Folgen müssen nicht auf Jugoslawien beschränkt sein. Schadstoffe aus Großbränden könnten grenzüberschreitend verteilt werden. Weiter heißt es in dem Papier: „Die Einleitung der Gefahrstoffe in Oberflächengewässer kann zur weiträumigen Schädigung der Ökosysteme führen. Die Deposition von Gefahrstoffen in Böden kann je nach Eigenschaft der Stoffe und Böden zu langanhaltenden Verseuchungen mit weitgehenden Nutzungseinschränkungen führen.“

Die Gefahr einer „tiefgreifenden Zerstörung wesentlicher Bestandteile von Trinkwasserversorgungssystemen“ sei für mittlere und große Städte sowie Ballungsgebiete am größten. Schon geringe Mengen von Substanzen der petrochemischen Industrie könnten „große Grundwasservorräte unbrauchbar machen“.

Wie gefährlich die freigesetzten Stoffe insgesamt sind, läßt sich nach Ansicht der UBA-Experten nur schwer abschätzen, „weil durch die Zerstörung ganzer Industriekomplexe Mischkontaminationen verschiedenster Schadstoffe gebildet werden“, die noch wenig erforscht seien.Noch komplizierter sei die Beurteilung von Umweltschäden durch Brände und Explosionen. „Hier treten bezogen auf Schadstoffinventar und Ausbreitung weit weniger kalkulierbare, zum Teil großflächige Umweltschädigungen ein.“

Die Verbrennungsprodukte seien „zum Teil hoch toxisch und kanzerogen“. Je nach klimatischen Bedingungen könne es „zu einer großflächigen Verteilung dieser Stoffe“ kommen, „die eine vollständige Beseitigung nahezu unmöglich macht oder nur in Teilbereichen unter erheblichem finanziellem Aufwand möglich ist“. Die Wechselwirkungen der Produkte mit den eingesetzten Waffen dürften „völlig unbekannt“ sein.

Neben den zivilen Altlasten infolge der Zerstörung von Industrieanlagen sei mit „flächendekkenden militärischen Altlasten“ sowohl durch die Kriegshandlungen der serbischen Streitkäfte am Boden als auch durch die Luftangriffe der Nato-Streitkräfte zu rechnen. Boden, Grund-und Oberflächenwasser würden durch „militärspezifische Betriebsstoffe“ wie Lösungsmittel, Schwermetalle und sprengstofftypische Verbindungen kontaminiert. „Darüber hinaus ist in den Kampf- und Zielgebieten mit einer flächendeckenden Belastung mit Munition, ihren Resten und Blindgängern zu rechnen.“

Auch die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern und –ansammlungen stellen eine Belastung der Umwelt und eine Gefährdung der Gesundheit dar. Im Kosovo und in den Nachbarstaaten würden „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ wegen Entsorgungsproblemen Gewässerverschmutzungen auftreten, es drohten Seuchen. Ohnehin erhöhen Massenunterkünfte die Gefahr von Epidemien.

Die endgültigen Auswirkungen des Krieges werden sich erst nach seinem Ende feststellen lassen: „Nach Beendigung des Krieges wird die Erfassung der Altlasten als Potentiale langfristiger Umweltschäden erforderlich sein. Diese sollte von der EU unterstützt werden.“

„Die zivile Nutzung weiter Teile dieser Regionen wird durch die Kontaminationen von Boden und Wasser nicht möglich sein“