Trommelt dem Herrn ein neues Lied

■ Ein Resümee der diesjährigen Festivals „Pro Musiqua Antiqua“ / Erster Teil

Faszinierende Einblicke in die Lebendigkeit und insbesondere die Kraft mystischer Erfahrungen vermittelte die diesjährige Pro Musica Antiqua. Das viertägige Festival widmete sich der Musik spiritueller, charismatischer Bewegungen, v.a. des islamischen Sufismus und des jüdischen Chassidismus. Und was man seit Donnerstag an Klänge – meist in der Kirche Unser Lieben Frauen – hören konnte, war fast immer beeindruckend, manchmal bewegend und zum Teil irritierend fremd. Trotz der Sprach- und Kulturunterschiede gab es Momente, in denen das mystische Streben nach Einheit mit dem Göttlichen wenn nicht spürbar, so doch nachvollziehbar wurde. Auffallend in diesem Zusammenhang war der merkliche Unterschied zwischen den Ensembles und MusikerInnen, die in ihrer spirituellen Tradition leben, und den Ensembles, die die tradierten Lieder als Kunst pflegen. So waren die Auftritte der Gruppe L'Orient imaginaire und des Ensembles Tre Fontane meisterhafte Darbietungen, aber auch geprägt von einer konzertanten, distanzierten Atmosphäre.

In ihrem Programm „Mittelalterliche Chansons“ setzte sich die Formation L'Orient Imaginaire mit den „neogotischen“ Kompositionen Erik Saties und Kompositionen von Guillaume de Machat aus dem 14. Jahrhundert auseinander. Satie stand damals einer französischen Bruderschaft der Rosenkreuzer nahe, einer okkulten Bewegung. Engelsgleiche Stimmen (Fadia el Hage, Myriam Anderson) und der weiche Klang des Cornettos (Ian Harrison), einer Art Holztrompete, prägten die Musik, die nicht nur durch den kompositorischen Ansatz, sondern auch durch die Instrumentierung (Ud, Kanun, Kemence, Rahmentrommel) orientalische Klangfärbungen mit europäischen Choralstrukturen verband.

In einem ähnlichen Spannungsfeld bewegte sich die Musik des französischen Ensembles Tre Fontane mit arabisch-andalusischen Liedern. Die Instrumentierung mit Drehleier und Flöte sowie der Kontrast zwischen dem Gesang der eher am klassisch-abendländischen Kunstlied ausgerichteten Sängerin Hermine Huguenel und dem mit viel Vibrato und Ornamentierungen singenden Mohammed El Arabi Serghini sorgten für eine eigentümliche Reibung in der Musik, die wie eine Art Verfremdung wirkte.

Deutlich publikumszugewandter war das Eröffnungskonzert des Festivals mit der österreichisch-türkischen Formation Tümata. Ihr Auftritt war mehr ein Gesprächskonzert. Charmant erläuterte Gerhard Tucek Herkunft und Bedeutung, der verschiedenen Lieder und Tänze, die die Gruppe vortrug. Verstärkt um einige Gastmitglieder aus der Türkei, China und Usbekistan, vermittelten Tümata v.a. Sufimusik aus Zentralasien, deren besonderes Kennzeichen die Nähe zu volksmusikalischen Weisen und die Verbindung mit schamanischen Traditionen ist. So waren denn die Lieder und Instrumentalstücke gar nicht so getragen und meditativ, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Hörbar war auch die Verschmelzung mit fernöstlichen Musiktraditionen. Gegenüber der Musik fielen die tänzerischen Einlagen der Gruppe ein wenig ab, wirkten doch einige der Tänzer ein wenig steif. Die ausführlichen informativen Erläuterungen gingen vielleicht ein wenig zu Lasten des spirituellen Gehalts, beeinträchtigten das für die Musik wesentliche Moment der Versenkung, trugen aber andererseits viel zum Verständnis und dem Kontext der Musik bei.

Zu den Höhepunkten des Festivals gehörten die Auftritte von Sheikh Ahmad Barrayn, der Gruppe Musafir und des pakistanischen Trommlers Pappu Sain.

Musafir nennt sich eine bunte Truppe aus dem nordindischen Rajasthan, die klassische indische Musik, sufistische Quawwali-Gesänge und Zigeunerlieder in einer wilden Mischung auf die Bühne bringt. Begeisternd war nicht nur die virtuose Technik der MusikerInnen und SängerInnen, sondern auch die Emphase, mit der sie ihre Musik vortrugen. Bachu und Edu Khan ließen ihre Kartals (eine Art Kastagnetten) während des Spiels durch die Luft tanzen. Die drei Tänzerinnen fegten schwindelerregend über die Bühne, und für Zirkusstimmung sorgte ein Balance- und Feuerschlucker-Akt, bei dem das Fakir-Nagelbrett nicht fehlte.

Auf ganz andere Art beeindruckte zuvor der blinde Sänger Sheikh Ahmad Barrayn aus Ägypten. Sein Gesang und die sich in Wellen und Kreisen bewegende Musik vermittelten tatsächlich eine Vorstellung von Ekstase und Beschwörung, lies erahnen, wie Sufis sich in tranceartige Zustände begeben. Mit rauher, leicht gebrochener Stimme sang Barrayn seine auf uralte Traditionen zurückgehenden Lobpreisungen des Höchsten. Obwohl diese Musik zu den weniger zugänglichen des Festivals gehörte, gehörte sie doch gleichzeitig zu den bewegendsten. Sie hatte Seele.

Das galt auch für die fremdartigste Musik des Festivals. Das Trommler-Duo Pappu Sain und Joora Sain sorgte bei seinem Auftritt in der Schauburg zunächst für Verstörung. Sie entfesselten auf ihren großen, umgehängten Trommeln ein derartig lautes Trommelgewitter, das vielen der BesucherInnen der Tinnitus in die Ohren fuhr. Auch die vertrackten Rhythmen waren zu Beginn kaum nachvollziehbar. Aber nach einiger Zeit stellte sich ein verblüffender Effekt beim Hören ein, wenn man sich auf dieses archaische Getrommel einließ. Es entstanden zusätzliche Klänge im Kopf, zunächst wie Gemurmel oder Stimmengewirr, dann eine Art Gesang. So etwas wie Obertöne, die sich im eigenen Kopf bilden . Arnaud

Der zweite Teil des Festivalresümees erscheint morgen