Er opferte das Cabrio und zahlt für den Krieg

■ taz-Serie (2): Wie erleben Kosovo-Albaner den Krieg in Jugoslawien? Eine Demonstration in Berlin

Mirsat, 20, ist das jüngste der sieben Kinder von Ajshe und Meto N. Wie die Eltern den Krieg im Kosovo wahrnehmen, schilderte die taz am 1. April. Heute kommt Sohn Mirsat zu Wort. Er demonstrierte am Donnerstag in Berlin.

Es ist so eine Sache, über den Schmerz zu reden. Vielleicht macht er sich verständlich, wenn er erzählt, was die Fernsehbilder in ihm auslösen. „Gestern nacht konnte ich nicht einschlafen. Ich lag im Bett und hatte auf einmal die Vorstellung, im Wald umherzuirren. Ich war auf der Flucht und wußte nicht, wohin ich gehen soll. Ich hatte Durst und Angst. Irgendwie wußte ich, daß ich in Berlin bin, aber das Gefühl, verloren zu sein, lag wie Blei in meinen Knochen.“

In Gedanken verbringt Mirsat jede freie Minute im Kosovo. Die Heimat seiner Eltern hat er vor zehn Jahren zum letzten Mal besucht. „Sie wissen genau, wo die Fernsehbilder aufgenommen wurden, erkennen jedes brennende Dorf, wissen, wer dort gewohnt hat. Mich erinnern die Bilder an meine Kinderferien. Wenn ich die Landschaft sehe, rieche ich das Gras, spüre die Sonne, erinnere mich an unsere Kühe und daran, wie sehr ich geweint habe, wenn wir zurück mußten. Mit dem Völkermord im Kosovo zerstört Milošević meine Kindheit.“ Mirsat läuft gegen den Schmerz. Luan ist an seiner Seite.

Strenge Ordner scheuchen die Demonstranten in geschlossene Reihen, niemand darf ausscheren. Der Weg geht vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus. „Ich bin stolz, durch die deutsche Geschichte zu gehen“, sagt Luan, 24. „Es gibt mir ein freies Gefühl, in Berlin geboren zu sein. Wenn aber auf meine Familie im Kososvo geschossen wird, werden die Emotionen zu stark.“ Jeden Tag bespricht er sich mit Mirsat: Sollen wir dem Aufruf der albanischen Befreiungsarmee UÇK folgen? Sollen wir als Freiwillige kämpfen? Luan ist der einzige Sohn. Sein Vater will nicht, daß er geht. „Ich muß den Familiennamen weitertragen.“ Auch das gehört zur albanischen Ehre; der Mann sichert das Fortbestehen der Sippe.

Mirsat hat einen älteren Bruder und bald bekommt er den deutschen Paß. „Dann geh' ich zur Bundeswehr. Damit ich für die Nato im Kosovo dabei sein kann.“ – „Die UÇK hat doch nur schrottige Waffen, und eine vernünftige Ausbildung kriege ich da auch nicht“, sagt Luan. Die beiden jungen Männer bezweifeln, daß zwei blanke Leben und traurige Herzen die Schlagkraft der Untergrundarmee stärken. Lieber helfen sie mit Geld. Mirsat hat 500 Mark gespart und zur „Befreiung des Volkes“ gestiftet. Im vorigen Jahr hat Luan den Verwandten im Kosovo 10.000 Mark geschickt. Im Februar opferte er sein Liebstes: Er stieß den SKL ab. Statt der Leasingraten für das Cabriolet überweist er jetzt 700 Mark im Monat an die Kämpfer „in der Heimat“.

Geld spenden reicht vielen nicht aus. Vorgestern rief das albanische Fernsehen die Kosovaren im Ausland zu den Waffen. Alle Männer zwischen 18 und 60 sollen sich mit der UÇK in Verbindung setzen. Auf der Demonstration wird gemunkelt, aus Berlin hätten sich schon 250 gemeldet.

Stramm stehen sie in Reih und Glied vor dem Roten Rathaus und schweigen. Dann ruft der Redner: „Lob den Märtyrern“. Die Menge klatscht. Kleine Kinder werden nach vorn geschoben. Gestiefelt und in amerikanischer Kampfuniform piepsen sie: „Es lebe das albanische Volk, es lebe die UÇK.“ Das paßt gut in die Fernsehbilder. Stolz knipsen die Erwachsenen sie fürs Familienalbum.

„Die Kleinen wissen gar nicht, was vor sich geht, was sie da sagen.“ Mirsat sind solche Propagandaaktionen suspekt. Luan hängt schon längst am Mobiltelefon und trommelt die Clique zusammen. „Wir treffen uns jeden Tag. Wir lenken uns ab, gehen zwar nicht mehr in die Disco, aber zum Bowlen.“ Mirsat und Luan fühlen sich nicht wohl im Kreis der Bedingungslosen. Der Krieg schneidet ihnen ins Innerste, aber die beiden wollen sich nicht von ihm verzehren lassen. Annette Rogalla