Viel Kritik an den Thesen Christian Pfeiffers

Mit seiner These, die repressive DDR-Erziehung sei am ostdeutschen Rechtsradikalismus schuld, hat der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer nicht nur Ossis empört. Auch Forscherkollegen haben ihre Zweifel an der Diskussion. Der Jenaer Psychologe Peter Noack warnt: „Mit dieser hitzigen Debatte riskiert man, daß der gewünschte Effekt ins Gegenteil umschlägt.“

Ostbürger, egal welcher politischen Couleur, würden sich miteinander solidarisieren und gegen den vermeintlichen Feind aus dem Westen, der ihnen die schönen Erinnerungen an die vergangenen Zeiten kaputtreden will, stellen. Die Pfeiffer-Debatte als Nährstoff der Ostalgie? Noch mehr Stimmen für die PDS? Ein Zusammenwachsen sei so nicht möglich, ist sich Noack sicher.

Abgesehen von dem politischen Schaden gibt es auch wissenschaftliche Kritik an Pfeiffers These. Sie sei „nur ein Stück aus der Torte“ und könne das gesamte Phänomen Ausländerfeindlichkeit im Osten nicht erklären, meinen die einen. Die anderen werfen ihm Ungenauigkeit vor. Etwa der Dresdner Erziehungswissenschaftler Wolfgang Melzer: „Wir wissen doch, daß viele Variablen notwendig sind, um die Gleichung So-wird-jemand- rechtsradikal aufstellen zu können.“

In seinen Untersuchungen – Melzer befragte 1995 und 1998 jeweils dreitausend Jugendliche in Sachsen und Hessen – ermittelte der Wissenschaftler einen Zuwachs rechtsradikaler Einstellung von ostdeutschen Jugendlichen in diesen drei Jahren.

Melzers Rechnung: Hätte Pfeiffer mit seiner These recht, müßte sich das DDR-Kinderbetreuungssystem zwischen 1978 und 1981 grundlegend geändert haben. Das war aber nicht der Fall. „Wie also will Pfeiffer seine These halten?“ Klarmachen müsse man sich auch, daß man über zehn Prozent der Jugendlichen – den Latenzbereich eingeschlossen bis zu achtzehn Prozent – rede. Wie aber wolle Pfeiffer erklären, daß neunzig Prozent – oder eben 82 Prozent – gegen rechtsradikales, ausländerfeindliches Gedankengut offenbar immun sind? Sein Kollege hätte sich schlicht „vergaloppiert“.

Die Zäsur sieht Melzer in der Wende: In seinen Untersuchungen ermittelte er, daß bei den ostdeutschen Jugendlichen seither das Selbstwertgefühl deutlich geringer ist als in der Westjugend. Damit würde eine größere Aggressionsbereitschaft einhergehen. Die Ursachen hierfür lägen vor allem im gesellschaftlichen und weniger im schulischen Umbau.

Der Jenaer Psychologe Peter Noack hält gegen Pfeiffers These: „Wenn heute jemand mit sechzehn oder siebzehn Ausländer jagt, dann müßte man das mit der Krippe erklären.“ Tatsächlich aber ließen sich viel weniger Unterschiede in der Persönlichkeitsstruktur, im Erziehungsstil der Familien und in der Ausländerfeindlichkeit zwischen Ost und West ausmachen, als man zunächst gedacht habe. Es sei ja nur ein gewisses Gefälle zu beschreiben und kein Schwarzweißbild, warnt Noack. Nick Reimer & Uta Andresen