Signal an die Pinochets dieser Welt

■ Die Strategie der vielen Haftbefehle an vielen Orten ist begrenzt aufgegangen. Jetzt werden andere Ex-Diktatoren vorsichtig reisen

Berlin (taz) – Am 16. Oktober vergangenen Jahres war Chiles Ex- Diktator Augusto Pinochet in London verhaftet worden – seither war der „Fall Pinochet“ zum Synonym für die Frage geworden, ob vergangene Diktaturen auch vor Gerichten anderer Nationen justitiabel sind oder nicht. Würde es möglich sein, auch vor der Existenz eines Internationalen Strafgerichtshofes, wie er im vergangenen Jahr in Rom gegründet wurde, Verbrechen der Vergangenheit zu bestrafen, auch wenn die nationale Justiz des jeweiligen Landes dazu nicht in der Lage ist?

Der Fall Pinochet verwies auf die gleiche Fragestellung in fast allen lateinamerikanischen Ländern. Von Zentralamerika bis Argentinien hatten sich die Militärs, die – unterstützt, ausgebildet und angeleitet von der regionalen Hegemonialmacht USA – in den siebziger Jahren die Macht an sich gerissen hatten, durch umfassende Amnestiegesetze selbst vor Strafverfolgung geschützt. Die chilenische Diktatur hatte sich von der anderer Staaten vor allem durch zwei Faktoren unterschieden: Die chilenischen Militärs galten zwar als grausam, nicht jedoch als korrupt – und mit ihnen kamen in Chile eine Reihe junger Ökonomen an die Schalthebel der wirtschaftspolitischen Macht, die allesamt bei Milton Friedman in Chicago studiert hatten und sich nun daran machten, unter den Bedingungen der von der Diktatur garantierten politischen Friedhofsruhe das Experiment Neoliberalismus in die Tat umzusetzen – mit Erfolg. Zur gleichen Zeit, als alle anderen Länder der Region mit Verschuldungskrise und Hyperinflation zu kämpfen hatten, konnte Chile auf Wirtschaftswachstum und relativen Wohlstand verweisen.

Der Erfolg, so schien es, legitimierte den Putsch gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende nachhaltig. Anders als in Argentinien konnten die chilenischen Militärs noch die Politik diktieren und die Grenzen ziviler Regierungen aufzeichnen, nachdem Pinochet als Regierungschef längst abgetreten war. Unter den ehemaligen Diktatoren Lateinamerikas war Pinochet der stärkste – und eben deshalb war seine Verhaftung so viel bedeutsamer, als es etwa die Festnahme des vertriebenen paraguayischen Ex-Diktators Alfredo Stroessner gewesen wäre.

Kein Wunder also, daß mit der Verhaftung Pinochets die weltweite Debatte über die Immunität der ehemaligen Schlächter neu aufgerollt wurde. Dem Versuch allerdings, in einem anderen Land begangene Verbrechen an einem anderen Ort juristisch beizukommen, haben die britischen Lordrichter mit ihrer Berufung auf das Datum der Unterzeichnung der Internationalen Antifolterkonvention enge Grenzen gesetzt.

Je nach Aufnahme dieses Spruchs wissen die Pinochets dieser Welt ganz genau, wohin sie künftig reisen dürfen und wohin nicht. Die Strategie der Gegner könnte es sein, an möglichst vielen Orten der Welt möglichst viele Haftbefehle zu erwirken – so lange, bis der Internationale Strafgerichtshof tatsächlich arbeitsfähig ist. Immerhin: In Deutschland, Belgien, der Schweiz und einigen skandinavischen Ländern bestehen gegen Pinochet Haftbefehle – wenngleich diese Länder ihre Auslieferungsanträge dem spanischen Anliegen untergeordnet hatten. Bernd Pickert