Wiglaf Droste
: Schütteln und Backen

■ Harnisch in der Babypause: Tochter werfen, auffangen und in die Wiege dunken

Babypause für Henning Harnisch: Ella est lá! Nun muß der Mann seine Tochter in die Luft werfen, sie auffangen und mit einem zarten Dunking in die Wiege puschen. Und der Kleenen Lieder singen, dutzi-dutzi machen, das ganze Programm.

Und aussetzen mit dem Kolumnieren. Das Wort klingt ja auch furchtbar unanständig: kolumnieren. Als könne man es nur hinter vorgehaltener Hand aussprechen oder mit vor Scham gesenkter Stimme, im Beichtstuhl: „Mein Sohn, hast du wieder kolumniert?“ – „Ja, Vater, und ich hasse mich dafür.“

Jedenfalls kolumniert Henning Harnisch hier nicht mehr. Sondern der Kolumnenkorsar, also ich. Ich habe Henning Harnischs Kolumne gekapert. Es war ganz leicht. Er rief mich an. Ob ich nicht einspringen könne – das Baby, und außerdem müsse er gerade etwas Wissenschaftliches schreiben. Eine Hausarbeit im Studiengang Film- und Kulturwissenschaft. Das hört sich lässig an: Immer schön Wiejos kieken und so. Wer wollte da nicht Student sein, trotz des üblen Leumunds, den der Student als solcher hat? Aber, Vorsicht Falle! Hinterher muß man was drüber schreiben.

Einen Satz las mir Harnisch am Telefon vor. Irgend etwas wie Filmsprache ist auch Sprache oder so ähnlich. Ich konnte es mir nicht merken. Schon manchem hat die akademische Ausbildung die Sprache versaut und den Schneid abgekauft. Mein Bruder Beowulf zum Beispiel schrieb als junger Mann sehr gute Gedichte; als das Studium mit ihm fertig war, traute er sich nicht einmal mehr, einen Brief zu schreiben. Der instinktive Zugriff auf die Sprache war futschikato und kommt seither nur im Rausch zurück, wenn das Unterbewußte sein Recht durchsetzen darf.

Im Falle von Henning Harnisch ist das aber nicht mehr relevant; schließlich glaubt der Mann ja wohl nicht im Ernst, daß ich ihm die einmal an Land gezogene Kolumne wieder zurückgebe. Weggegangen, Platz vergangen – so ist das im Kapitalismus. Der Mann hätte es wissen müssen. Schließlich ist er Profi. Oder war zumindest mal einer.

Ich schwelgte, ja schwolg ein bißchen in Erinnerungen: Henning Harnisch bei Alba Berlin, am 12. März 1998, beim 104:71 gegen PAOK Saloniki. Was für ein Spiel! In der Verteidigung stellte Harnisch seinen Gegenspieler nahezu vollkommen kalt, und vorne traf er alles. Die Trefferquote war 100 Prozent. Jeder, wirklich jeder Wurf ein Treffer. Die Stimmung in der Halle war magisch; es hatte weniger mit Sport zu tun als mit dem Glück, das man empfindet, wenn alles stimmt – wie bei einem guten Konzert oder einem perfekten Gedicht. Henning Harnisch jedenfalls gelang es an diesem Abend, jenem traumhaften Vierzeiler Gestalt zu geben, den F.W. Bernstein und Robert Gernhardt in den 60er Jahren auf einem Rummelplatz entdeckten und den sie ihrem Buch „Besternte Ernte“ vorangestellt haben: „Wie ein Pfeil fliegt / man daher / Als ob man selber / einer wär“. Basketball, wenn man es richtig versteht, ist nichts als Poesie.

Der Antrag, diese Kolumne zu schreiben, erreichte mich am 8. März, dem Internationalen Frauentag, der seit 1988 ein ganz besonderer Tag für mich ist. Ich war gerade damit beschäftigt, ein Liebesgedicht an alle Frauen der Welt zu schreiben und mußte feststellen, wie schwer das ist – nicht einmal aus formalen Gründen, sondern rein inhaltistisch. Ich schaffe es einfach nicht, alle Frauen zu lieben. So gerne ich's täte, es geht nicht. Immerhin zwei gültige Zeilen aus dem Zyklus „Welt und Frau“ aber brachte ich zu Papier: Ich liebe die kleine Verbraucherin / Vor allem die heftige Raucherin.

Danach latschte ich los. An der U-Bahn-Station Südstern quoll seltsame Musik aus einem Lautsprecher, Üllegülle, Öllegölle; dazu hopsten etwa 50 klumpig angezogene Menschen im Kreis. Die Kurden werden auch immer komischer, dachte ich, aber eine Polizistin, die ich nach dem Anlaß der Kleindemonstration befragte, klärte mich auf: „Frauentagsdemo. Wenn ich Sie wäre, würde ich einen großen Bogen darum machen.“ Ist es nicht faszinierend, was die Polizei alles weiß?