Intellektuelle Farbtupfer auf globalem Kurs

■ Letzte Woche hat das Goethe-Institut in Istanbul erstmals ein Haus als feste Einrichtung bezogen – trotz deutsch-türkischer Verstimmungen in Sachen EU-Beitritt und Kurdenproteste

Das Haus steht am richtigen Platz. Mitten im Boheme-Viertel Beyoglu, das renommierte Galatasaray-Gymnasium direkt vor der Nase, das Café Kafka in unmittelbarer Nachbarschaft und jede Menge Buchläden, Galerien und Kneipen drum herum. Seit dieser Woche hat auch „Goethe“ ein Haus in Istanbul und ist damit, nach 17jähriger provisorischer Unterbringung, in der Metropole am Schnittpunkt von Europa und Asien richtig angekommen. „Es freut mich ganz besonders“, sagt der Leiter des Istanbuler Goethe- Instituts, Kurt Scharf, „daß das Haus gerade jetzt fertig geworden ist und wir so die Möglichkeit haben, in Zeiten deutsch-türkischer Spannungen ein positives Signal zu setzen.“

Seit der damalige türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz den damaligen Bundeskanzler Kohl persönlich dafür verantwortlich gemacht hat, daß die Türkei nicht zum offiziellen Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft wurde, ist das früher sehr gute deutsch-türkische Verhältnis auf der politischen Ebene gestört. Das spielt zwar für den Umgang zwischen Künstlern und Literaten kaum eine Rolle, aber es ist doch um einiges schwieriger geworden, finanzielle Mittel für deutsch-türkische Veranstaltungen zu organisieren. Das Berlin-Istanbul-Festival wäre im letzten Jahr fast an der Zurückhaltung der türkischen Seite gescheitert.

Mit den neuen Räumen besteht nun zumindest für das Goethe-Institut die Möglichkeit, das Programm flexibel zu gestalten und vor allem mit einer guten Bibliothek das Haus einem breiterem Publikum als Treffpunkt anzubieten. Die Eröffnungswoche stand intellektuell im Zeichen der Globalisierung: Istanbul spielt gegenüber dem Osten, im Süden Europas, eine ähnliche Rolle wie Berlin im Norden. Der Rußland-Kenner Karl Schlögel von der Viadrina- Uni in Frankfurt (Oder), der mit östlich geschultem Blick auf Istanbul und die Türkei schaut, war von der Vitalität und der Effizienz des Landes jedenfalls ganz angetan – ein Türkeibild, das dem gängigen westeuropäischen Klischee doch erheblich widerspricht. Scharf freut sich über solche Widersprüche. „Die vornehmste Aufgabe kultureller Arbeit ist es doch, Schablonen aufzubrechen.“

„Es ist nicht ganz einfach, in der Türkei deutsche Kultur zu verkaufen. Gegen Englisch kommt man mit der deutschen Sprache natürlich nur schwer an“, beschreibt Scharf die tägliche Programmarbeit am Bosporus. Trotzdem sind die Plätze an deutschsprachigen Gymnasien in Istanbul nach wie vor heiß begehrt. Zu den Eröffnungsfestivitäten gehörte ein Lesewettbewerb von Schülern aller deutschsprachigen Gymnasien, die im Beisein der Autorin Dilek Zaptçioglu aus deren Roman über Ömer, einen türkischstämmigen Abiturienten in Berlin, lasen und redeten. Ein spannender Rückblick, vor allem für die SchülerInnen, die selbst einen Teil ihrer Schulzeit in Deutschland verbracht haben. Doch trotz der vielfältigen Verbindungen zu den türkischen Migranten in Deutschland ist europäische Kultur für das gehobene Publikum in Istanbul nach wie vor eher französisch und für die global players von morgen natürlich amerikanisch.

Kurt Scharf, dessen fünfjährige Tätigkeit im September endet und der Istanbul dann verlassen wird, hat in dieser Zeit versucht, das Goethe-Institut in Istanbul vor allem durch politische Veranstaltungen in der intellektuellen Szene des Landes zu plazieren. „Wir haben einen ernsthaften Dialog mit den Vertretern des politischen Islam geführt und das Goethe-Institut als Plattform dafür angeboten. Wir haben zu den Veranstaltungen ,700 Jahre Osmanisches Reich‘ natürlich auch griechische Historiker eingeladen, und wir haben eine große Veranstaltung zu Demokratie und Minderheiten gemacht, bei der auch Diskutanten kurdischer Herkunft dabei waren.“ Scharf ist ein erfahrener Kulturvermittler: Der Sohn des früheren Berliner Bischofs arbeitete sechs Jahre am Berliner Haus der Kulturen der Welt, für das Goethe-Institut war er bereits in Brasilien und im Iran.

Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden gab es bislang nicht, und auch das Auswärtige Amt hat als Geldgeber bislang nicht in die Programmplanung eingegriffen. Zusammen mit der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft und den parteiengestützten Ebert-, Adenauer-, und Böll- Stiftungen ist deutsche Kultur- und Bildungsarbeit durchaus präsent, bleibt aber innerhalb einer 15-Millionen-Metropole trotzdem kaum mehr als ein Farbtupfer.

Mit einem Etat von 1,6 Millionen und wenigen tausend Mark für Öffentlichkeitsarbeit, kann man schwere Verstimmungen zwischen zwei Ländern natürlich auch nicht auffangen. „Wir können aber um Verständnis für die jeweilige Sicht des anderen werben“, hofft Scharf. Für die Münchener Zentrale des Goethe-Instituts, darauf ist der scheidende Chef in Istanbul auch ein bißchen stolz, ist die Arbeit jedenfalls so wichtig, „daß wir auch in Zeiten ganz knapper Kassen das neue Haus beziehen konnten und keine Mittelkürzungen über uns ergehen lassen mußten“. Jürgen Gottschlich