Geisterstunde in Böblingen

Schlag Mitternacht läuft das Ultimatum der Gewerkschaft zum Metall-Tarifstreit ab. Und genau das ist die einzige Chance des Schlichters Hans-Jochen Vogel  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Rudolf Hickel kennt das Spielchen. Der Bremer Wirtschaftsprofessor hat vor vier Jahren im Tarifstreit der sächsischen Metaller als Schlichter gewirkt. Damals lief um 12 Uhr mittags das Ultimatum aus. Hickel mußte bis dahin zu einem Tarifergebnis kommen, das Arbeitgeber und Gewerkschafter in der Runde akzeptierten. Sonst drohten die Gewerkschafter mit Streik.

Kurz vor High-noon griff Hickel zu einem Trick: „Leute, wir halten jetzt die Uhr an“, schlug der Schlichter vor. Fünf Stunden lang war es 11 Uhr 59, fünf Stunden mehr Zeit für Verhandlungen.

Die wird sich vielleicht heute nacht auch der ehemalige SPD- Vorsitzende Hans-Jochen Vogel wünschen. Vogel soll den Tarifkonflikt in der Metallindustrie schlichten. Im baden-württembergischen Böblingen verbarrikadieren sich seit gestern sieben Männer in einem Konferenzraum. Es geht um eine einzige Frage: Um wieviel Prozent darf und soll der Lohn der 3,5 Millionen Beschäftigten in der Metallindustrie steigen?

Punkt Mitternacht läuft die Frist zur Einigung ab. Falls es Vogel bis dahin nicht schafft, die zerstrittenen Parteien von einem Vorschlag zu überzeugen, wird die IG Metall am kommenden Montag voll zum Arbeitskampf mobilisieren.

Gestern nachmittag herrschte noch der gewohnt schroffe Ton. Eine Gewerkschafterin sah „keine Idee einer Annäherung“. Auch die Frankfurter IG-Metall-Zentrale gab sich wenig optimistisch. Vor allem eine Position gilt dort als unumstößlich: Eine Einmalzahlung, die von der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Unternehmens abhängt, wird nicht akzeptiert. „Wir unterschreiben keinen Tarifvertrag, der es den Unternehmern in Abstimmung mit dem Betriebsrat erlaubt, die Höhe der Einmalzahlung festzulegen“, sagte ein Gewerkschaftssprecher zur taz. Selbstverständlich könne man in der Schlichtungsrunde über eine Einmalzahlung diskutieren, allerdings dürfe sie nicht vom Ertrag des Unternehmens abhängig gemacht werden.

Belegt die Gewerkschaft dieses Thema weiterhin mit einem Tabu, bleiben Hans-Jochen Vogel zwei taktische Möglichkeiten, die Streithähne zu befrieden. Einmal könnte der Tarifvertrag mit einer längeren Laufzeit als zwölf Monate abgeschlossen werden. So könnte zwar eine Vier vor dem Komma stehen, die Belastung für die Unternehmer würde sich aber verringern, weil die Gewerkschaft nicht schon nach einem Jahr eine Steigerung verlangen würde. Zweitens könnte die zusätzliche Einmalzahlung erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem Tarifvertragsbeginn geleistet werden.

Für heute haben sich die Spitzen von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband Gesamtmetall in Böblingen angemeldet. Das Ergebnis hat Folgen – nicht nur für die Metallindustrie. Die Gewerkschaft ÖTV will sich für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst am Metall- Abschluß orientieren.

Wie wird es in Böblingen ausgehen? Hans-Jochen Vogel habe eigentlich nur eine Chance, meint Rudolf Hickel. „Kurz vor Schluß kann er auf die Uhr gucken und sagen: Leute, wollt ihr nun den Streik oder wollt ihr ihn nicht?“ Wenn nicht, können die Tarifparteien die Uhr anhalten. Hickel übrigens hat der Trick nichts genützt. In Sachsen wurde gestreikt.