Zauberformel Partnership

Gestern endete in Den Haag die UN-Bevölkerungkonferenz. Fazit: Frauenrechte sind oft noch nicht umgesetzt  ■ Von Shalini Randeria

Den Haag (taz) – Die Überwindung einer Bevölkerungspolitik, die demographischen Zielen verpflichtet ist: das hatten sich die Teilnehmer der Kairoer Weltbevölkerungs- und Entwicklungskonferenz vor fünf Jahren zum Ziel gesetzt. Auf dem Kongreß des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) zur Bevölkerungspolitik in Den Haag, der gestern zu Ende ging, zogen VertreterInnen aus 180 Ländern und ebenso vielen regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) Bilanz. Im Mittelpunkt stand die Frage: Ist es seit Kairo gelungen, entwicklungspolitische Ziele und Frauenrechte weltweit ins Zentrum einer neuen Bevölkerungspolitik zu rücken?

Doch auch der verhaltene Optimismus von NGO-Vertreterinnen – radikale Kritikerinnen waren nicht anwesend, und Kontroversen und Skandale über weibliche Genitalbeschneidungen, wie sie noch in Kairo vorgetragen wurden, blieben aus – konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die konkreten Ergebnisse fünf Jahre nach Kairo mager sind.

Als größter Erfolg wurde eher eine semantische Revolution gefeiert, die in vielen Ländern des Südens von Frauenorganisationen benutzt wird, um eine Ausweitung der engen Programme zur Bevölkerungskontrolle auf gesundheits- und sozialpolitische Themen zu erreichen. So wurden in Thailand und Indien die Werbeprämien und staatlich festgelegten Quoten für Sterilisationen abgeschafft, in Kenia gesetzliche Änderungen im Erbschaftsrecht zugunsten von Frauen erreicht, wurde in Indonesien ein nationales Programm zur Verringerung der Müttersterblichkeit etabliert und in Brasilien die Beteiligung von Frauengruppen an Entscheidungsprozessen im Gesundheitssystem erkämpft.

Weltweit sind jedoch die meisten Programme nach wie vor den bekannten Familienplanungsdiensten verpflichtet. Das zeigt das Beispiel Nepal. So werden hier nach Aussage von Dr. Karki von der Family Planning Association Nepal) die „Safe Motherhood“-Programme zur HIV-Bekämpfung und Krebsvorsorge lediglich in 10 bis 15 Jahren realisierbar sein. Überdies dominiert weiter die traditionelle Familienplanung auf Wunsch internationaler Geldgeber. NGO- Vertreterinnen aus osteuropäischen Ländern bestätigten solche Abhängigkeiten, obwohl allseits die Bedürfnisse der Betroffenen zum Maßstab erhoben werden.

Florence Manguyu, Ärztin aus Kenia und in Kairo Leiterin eines NGO-Forums, sagte in ihrer Eröffnungsrede: „Wenn Kairo für die Befriedigung individueller Bedürfnisse steht und Bejing für die Rechte der Frauen, dann steht Den Haag für „Partnerschaft“. Mit diesem Begriff wird die Zusammenarbeit des Staates mit gesellschaftlichen Gruppen wie NGOs bezeichnet, aber auch das Zusammenwirken der NGOs mit dem UNO-System und Geldgebern auf nationaler sowie internationaler Ebene.

Die Vorteile dieses Schulterschlusses für die Umsetzung der Ziele von Kairo wurden allseits betont. Partnership führe zu größerem Erfolg, besserer Nutzung von Ressourcen und gegenseitigem Vertrauen. Allerdings wurden auch die Grenzen einer Partnerschaft sichtbar: Trotz jahrelanger Kritik der Frauenorganisationen aus Bangladesch hält der UNO- Bevölkerungsfonds an der Verbreitung des Langzeitkontrazeptivums Norplant fest. Da die NGOs auf Gelder der UNFPA für ihre Programme angewiesen sind und unter Erfolgsdruck stehen, geben sie den Druck an die Frauen weiter, obwohl gerade diese Methode der Verhütung kaum geeignet ist.

Weder eine freie Wahl noch die Befriedigung individueller Bedürfnissen können unter solchen Abhängigkeiten verwirklicht werden. So wurden im Gegensatz zu den demographischen Zielen Kairos in Peru im Rahmen einer neu eingeführten Quotenregelungen zwischen 1996 und 1998 mehr als 28.000 arme Frauen sterilisiert. Jedoch verhinderte die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID die Veröffentlichung einer von ihr in Auftrag gegebenen Länderstudie zu Peru.

Wie problematisch Partnerschaft unter höchst ungleichen Machtverhältnissen ist, erfuhren ebenfalls peruanische Frauenorganisationen, die sich einerseits auf eine Kooperation mit der USAID und anderseits mit der eigenen Regierung eingelassen hatten. Sie mußten außerdem befürchten, daß die katholische Kirche ihre Kritik für eigene Ziele nutzen wollte, um eine fundamentale Opposition gegen Kontrazeptiva und Sterilisationen zu legitimieren.

Die Organisation „Catholics for a Free Choice“ dokumentierte ausführlich die Politik des Vatikans seit Kairo, die die Sexualerziehung in Irland, Peru und Nicaragua zu verhindern versucht und Unicef fälschlicherweise der Unterstützung von Abtreibungen beschuldigt. Zwar lehnten die drei Vertreter des Vatikans in Den Haag eine öffentliche Stellungnahme ab. Aber hinter den Kulissen ist die Abtreibungsfrage der einzig umstrittene Punkt. Auch die UNFPA versuchte, im Abschlußbericht des Youth-Forums die Formulierungen über das Recht auf Zugang zu legalen Abtreibungsmöglichkeiten abzumildern.

Abgesehen von der Politik der katholischen Kirche und dem Widerstand nationaler sowie internationaler Geldgeber bildet die Fixierung der Bevölkerungspolitik auf die Familienplanung und eine Vernachlässigung der gesundheits- und sozialpolitischen Programme das Haupthindernis der Verwirklichung der Vision von Kairo. Ohne einen Wandel der makroökonomischen Bedingungen sind hier kaum Fortschritte zu erzielen. So werden zum Beispiel durch die von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verordneten Strukturanpassungsmaßnahmen, aber auch im Zuge der globalen Finanzkrise Gesundheitsdienste in südasiatischen und lateinamerikanischen Staaten abgebaut, oder es fehlen Ressourcen, diese überhaupt erst einzurichten. Eine vom Population Action International durchgeführte Studie zeigt, daß im Gegensatz zu den Industrieländern, die nur bis zu 20 Prozent ihrer Versprechen erfüllten, die Länder des Südens bis zu 70 Prozent ihres Beitrags erfüllt haben.

Wie aber Aktivistinnen einer britischen NGO (World-Write) kommentierten, ist die Mobilisierung von mehr Ressourcen nur hilfreich, wenn gewährleistet ist, daß tatsächlich frauen- und gesundheitspolitische Ziele verfolgt werden. Rashida Abdallah aus Malaysia faßte die weitverbreitete Meinung der Teilnehmer zusammen: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Ich sehe den Kairoer Konsens eher als ein Versprechen, das mir die Hoffnung gibt, trotz der düsteren Realität weiterzukämpfen.“