Krieg mit Bibel, Kreuz und Steinen

Inspiriert vom Heiligen Geist, gründete Alice Lakwena 1986 als Zauberin in Uganda eine der brutalsten Guerillagruppen Afrikas. Heute lebt sie zurückgezogen in einem Flüchtlingslager in Kenia und bereut nichts. Ein Annäherungsversuch  ■ Von Peter Böhm

Alice Lakwena macht keine Witze. Sie wirkt ernst und vernünftig, wenn sie unglaubliche, alle elementaren Regeln der Naturwissenschaft verletzende Dinge erzählt. Sie wippt nur andauernd mit dem Fuß, als sei sie nervös, weil sie diese Dinge einer Person aus einem anderen Kulturkreis beibringen muß.

Die Zeiten des Kampfes sind für sie längst vorbei. Heute ist sie sichtlich froh, wenn mal ein Journalist vorbeikommt und etwas Abwechslung in den drögen Alltag des Flüchtlingslagers bringt. Nach Dadaab in der Halbwüste im Nordosten Kenias kam Alice vor drei Jahren. Hier wohnt die 40jährige mit zwei Dutzend ihrer verbliebenen Getreuen in zwei aneinandergrenzenden, im Stil ihrer Heimat mit Schilf umzäunten Grundstücken mit mehreren Hütten.

Sie züchtet Hühner. Ein Mädchen ihres Acholi-Volkes kocht und wäscht für sie. Alles wirkt beschaulich und etwas langweilig. Zum Gespräch bittet sie in die größte Schilfhütte mit drei gekalkten Stufen an der Wand und einem bunten Kreuz darüber, dem Altar, sowie handgeschriebenen Plakaten an den Wänden.

Mit ihrem massigen Gesicht und ihren über 1,80 Meter Länge wirkt sie auf den ersten Blick wie ein Mann. „Mit acht Jahren war ich körperlich nicht in Ordnung“, erinnert sie sich. „Ich sah Menschen, die andere nicht sahen.“ Ihre erste Menstruation habe sie erst nach ihrer Erleuchtung als 27jährige bekommen. Ihr Busen habe sich erst viel später entwickelt, in Kenia. Sie sei „kein Mensch“ gewesen.

„Mein Vater ging mit mir von einem traditionellen Heiler zum nächsten, aber keiner konnte mir helfen“, fährt Alice fort, und ihre Adepten, die diese Geschichte schon einige Male gehört haben müssen, sitzen wie während des gesamten Gesprächs schweigend, so als ob die Anwesenheit der Prophetin allein schon genug sei, um den Tag zu retten. Mit 20 sei sie dann „völlig geistig gestört“ gewesen, eine „komplette Verrückte“, die nicht ohne fremde Hilfe überleben konnte.

Sie lebte in Obit, im nordugandischen Bezirk Gulu, mit einem Jungen, der sie versorgte. Dann bekam sie die ersten vom Heiligen Geist (Holy Spirit) inspirierten Träume. Anfang 1985 kam die Erleuchtung: „Ein großes Licht öffnete meine Hütte. Alle Menschen in dem Dorf haben es gesehen. Und ich wurde 150 Meter in den Himmel gehoben.“ Der Heilige Geist übergab ihr eine Bibel. Hat sie die noch? „Ja, aber nicht hier“, sagt sie und senkt verlegen den Blick. Außerdem wies er sie an, zu den Murchison-Wasserfällen am Nil zu gehen, um dort heiliges Wasser zu holen. Sie blieb vierzig Tage im Wasser. Wie machte sie das? „Ich sinke.“ Und sie begann mit dem Wasser die Bauern zu heilen, und so wurde sie eine regional bekannte Wunderdoktorin.

Vor dem Staatsstreich in Uganda im selben Jahr kam der jüngere Okello, einer der zukünftigen Coupführer, zu ihr, um zu fragen, ob der Heilige Geist mit seiner Machtübernahme in Kampala einverstanden sei. Denn die Acholi- Militärs planten einen Umsturz gegen Präsident Milton Obote aus dem Langi-Volk, mit dem sich die Acholis seit der Unabhängigkeit politisch verbunden hatten. „Der Geist sagte ihm: Wenn ihr aufhört mit dem Tribalismus, mit dem Plündern und Morden, dann wird er helfen.“

Aber die Hilfe währte offenbar nicht lange. Im Januar 1986 schon nahm die südugandische National Resistance Army unter dem bis heute regierenden Yoweri Museveni die ugandische Hauptstadt Kampala ein. Die vom Norden Ugandas dominierte Armee floh in den Sudan, und Alice kam ins Gefängnis. In der Haftzeit will sie Musevenis Bruder Salim Saleh ebenfalls den Rat des Heiligen Geistes gegeben haben. Bald schon kam sie frei, und weil auch die neuen Machthaber sich nicht an die Anweisungen des Geistes hielten, wurde die Prophetin nun selber aktiv.

„Entgegen Salehs Versprechen entführten die Soldaten viele Mädchen und Jungen meines Alters und sperrten sie in der Kaserne in Gulu ein“, erinnert sie sich. Also befreite sie am 12. August 1986 mit 150 Jungen, 50 Gewehren, fünf Hand- und einigen „Steingranaten“ – Steine, die beim Werfen explodieren – die Gefangenen.

Die Geschichte ist nicht unumstritten. „Weil sie bei diesem Angriff große Verluste erlitt“, sagt Dixon Odon, „bekam sie eine große Gefolgschaft erst nach einer Attacke in meinem Heimatbezirk Kitgum.“ Alice Lakwenas ehemaliger persönlicher Arzt hat sich mit zehn anderen im Streit von ihr getrennt und lebt nun an einem anderen Ende des Flüchtlingslagers. „Ich habe ihr gesagt, sie sei so gierig wie König Nebukaznedar und König Saul.“

Odon ist ein offenherziger und sympathischer Mensch, offensichtlich besorgt um die Menschen, für die er in Dadaab verantwortlich ist, und, wie er später gesteht, betroffen von dem immer noch andauernden Krieg im Norden Ugandas. Daran allerdings, daß Alice Lakwena über Wunderkräfte verfügt, besteht seiner Meinung nach kein Zweifel. „Ich habe doch mit meinen eigenen Augen gesehen, wie alle Kugeln uns verfehlt haben und wie die Steine explodierten. Inzwischen“, sagt er dann jedoch, „habe ich mich weiter informiert und herausgefunden, daß auch Dämonen eine kurze Zeit lang Wunder bewirken können.“

Zurück nach 1986. Nach ihrer ersten Aktion wurde Alice Lakwena von einigen Ex-Militärs des Acholi-Volkes, die als Rebellen kämpfen wollten, in die Stadt Kitgum gebracht. „Noch am selben Abend schwor sie 150 Jungen und Mädchen ein, und am nächsten Morgen begannen wir mit dem ersten Angriff.“ Da es überraschend gut lief, so Odon, und sie keine Verwundeten oder gar Tote zu beklagen hatten, „schlossen sich uns auf einmal alle an“. Aber der Erfolg währte nicht lange. Im Dezember 1987 drangen die Rebellen bis nach Jinja am Viktoriasee vor. Von da floh Alice Lakwena mit 150 ihrer Anhänger nach Kenia. „Es war klar, daß wir militarisch besiegt waren“, sagt Dixon. „Wir hatten so viele unserer Führer verloren.“

Lakwena ist klug genug, ihre damalige militärische Rolle herunterzuspielen. Sie weiß, daß sie das tun muß, will sie jemals wieder ein normales Leben in einem anderen Land führen oder gar nach Uganda zurückkehren. „Ich bin eine Prophetin und keine Politikerin“, sagt sie und bestreitet, jemals eine militärische Uniform getragen oder gar ihren Kämpfern ein Wasser gegeben zu haben, das sie gegen Kugeln unverwundbar macht.

Sie ist nun vollends verlegen. Es ist in ihrem Gesicht zu lesen, daß sie die Unwahrheit sagt – und das weiß. Trotzdem trägt sie noch immer ein Armeekäppi, „weil ich wegen den Somalis hier meine Haare bedecken muß“. Odon wundert sich: „Wenn es so ist, warum nimmt sie dann kein Tuch!“

Deutlich ärgerlich wird Alice gar, wenn man sie auf ihren Nachfolger Joseph Kony anspricht, der mit seiner Widerstandsarmee des Herrn (LRA) noch heute den Norden Ugandas verwüstet. Die LRA- Kämpfer schneiden Nasen, Lippen und Ohren ihrer Opfer ab, entführen Jungen und Mädchen, die für sie die Munition schleppen müssen oder zur Ehe gezwungen werden. „Ein totaler Fremder“, sagt Alice Lakwena über Joseph Kony, mit dem sie allerdings einen gemeinsamen Urgoßvater hat. „Er kam zu mir und wollte die Kraft des Heiligen Geistes, aber der Geist hat sich geweigert.“

Odon berichtet dagegen, Alice habe Kony in einer Zeremonie bescheinigt, die Kraft des Geistes sei mit ihm. Auch die spiritistische Konkurrenz ihres Vaters, der selbst ein Wunderheiler war und der nach ihrer Flucht die Holy-Spirit-Rebellen zeitweilig anführte, treibt Alice Lakwena zu der sarkastischen Frage: „Wie kommt es, daß der auf einmal auch ein Prophet war?“

Vor zwei Monaten hat Lakwena einen Brief an Ugandas Präsident Museveni geschrieben, daß sie in ihr Heimatland zurückkehren und ihre Kräfte nun dem Kampf gegen Aids zur Verfügung stellen wolle. Odon berichtet, sie spritze dazu den Kranken ein Destillat aus einer Wurzel und Bibeln, die sie nach einem Streit in der Gruppe verbrannt habe. „Ihr eigener Bruder“, weiß Odon, „der zur Behandlung hierherkam, und acht weitere Anhänger sind an der Behandlung gestorben.“

Warum glauben viele dann immer noch an ihre Wunderkräfte? Die Antwort darauf ist wohl auf den Plakaten mit Wort gewordenen Anweisungen des Heiligen Geistes an den Wänden der Strohhütte zu finden. Die Regeln für HIV-Infizierte beinhalten unter anderen, kein Öl oder Fett zu essen, das Gebäude nicht zu verlassen und keinen Sex zu haben. Und wenn die Behandlung versagt – so lautet die universal anwendbare Begründung, die die Nachkommen solcher Unglücklicher dann zu hören bekommen –, haben sie sich nicht an die Regeln gehalten.

Außerdem ist der Entwurf ihrer nächsten Projekte zu bewundern. Der in kindlicher Art von einem ihrer Getreuen mit einem dicken Filzstift gemalte Plan einer Krankenstation für Aidskranke sieht einen „Neben-“ und einen „Hauptaltar“ vor, um die einige Hütten gruppiert sind. Für die Patienten? „Nein, für die Ärzte!“ Ärzte? „Ja natürlich. Ich kann ja nicht alle alleine heilen!“

Die letzte Frage löst bei Alice Lakwena dann milde Entrüstung aus: Ist sie eine Christin? „Ja, selbstverständlich! 100 Prozent katholisch.“