Die Beatles und die Stones

Während Jugendzeitschriften wie „Bravo“ in der Krise sind, haben plötzlich zwei Blätter unerwarteten Erfolg, die junge Mädchen als Erwachsene behandeln: „Sugar“ und „Brigitte Young Miss“. Warum?  ■  Von Ania Mauruschat

Ulrike Fischer pfeift. Sie hat auch allen Grund dazu, während sie die Auflagenzahlen für das vierte Quartal 1998 sucht. Günter M. Bregulla hat die Veröffentlichung dieser Zahlen am Donnerstag sowieso mal wieder einen Freudentag beschert. Und Claus-Dieter Grabner ist wie immer die Lässigkeit in Person.

Die drei verdienen ihr Geld mit Zeitschriften für junge Mädchen. Und weil junge Mädchen genau so etwas neuerdings begeistert lesen, tut sich einiges auf dem Markt. Angefangen hat alles im letzten April, als das Geschäft mit den Jugendtiteln richtig mies war: rapider Auflagenschwund im ganzen Segment, vor allem Jugendmarktführer Bravo muß immer noch heftig Federn lassen. Ausgerechnet in dieser Situation warf Bregulla als Leiter des Münchner Verlags Attic Futura sein neuartiges Mädchenmagazin Sugar in das Haifischbecken. Und das schwimmt inzwischen allen anderen vor der Nase weg. Angepeilt waren ursprünglich 250.000 Exewmplare nach acht Monaten verkauft Sugar schon 321.000 und ist damit einer der wenigen Auflagengewinner im insgesamt bröckelnden Zeitschriftenmarkt.

Der deutsche Ableger des australischen Konzerns PMP hatte als Joint-Venture mit dem englischen Verlag North South dabei nichts anderes gemacht, als eine Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben: Seit 1988 macht das Vorbild Girlfriend downunder Furore und die englische Ausgabe von Sugar hat sich seit 1993 zum Marktführer in Großbritannien gemausert.

Das Erfolgsgeheimnis: Optik statt Inhalt. Sugar ist das erste Hochglanzmagazin für Mädels „geklebt und nicht geklammert“, wie Petra, nicht wie Bravo. Sugar will erwachsen aussehen. So wie die angepeilten Leserinnen zwischen 14 und 16. „Es soll einfach etwas Nettes sein“, beschreibt Bregulla das Konzept. Inhaltlich geht es dabei ähnlich zu wie bei den 14tägigen Konkurrentinnen Mädchen und Bravo Girl: Beauty-Tips, Love & Sex, Real-Life-Stories, Star-Gossip und Boys, Boys, Boys. Zum rausreißen, aufhängen, anhimmeln.

Und trotzdem scheint Sugar neu und anders: Wenn Mädchen und Bravo Girl über Sex mit 16, eine 18jährige Porno-Darstellerin oder billige Anmachen schrieben, dann kam das in den billigen Heftchen auch immer ein bißchen billig daher. Wie die Pubertät halt ist. Bei Sugar ist dieser Hauch Realität weg deodoriert. Schon die 12jährige Lucie wird im Vorher/Nachher-Style-up zur virtuellen Lolita aufgemotzt. Super-Sternchen wie die 16jährige Monica, die „The Boy is mine“ trällerte, verraten ihre unschlagbaren Flirttips – und nicht mehr die Redakteurinnen der etwas anrüchigen Blätter, von denen sowieso jede weiß, daß das alles Schund ist. Bei verzwickten Liebessorgen würfelt man sich die Antworten einfach herbei.

Claus-Dieter Grabner, für die Bravo-Gruppe zuständiger Leiter des Heinrich-Bauer-Verlages, gesteht ein, daß er Sugar unterschätzt hat. Aber eine Gefahr sieht er für seine Marktführerin Bravo Girl trotzdem nicht. Auch, daß diese im Vergleich zum dritten Quartal 1998 eben wieder 40.000 an Auflage einbüßte und mit 563.000 den Tiefpunkt seit der Gründung 1988 erreicht hat, führt Grabner, „nun wirklich nicht auf Sugar zurück.“ Noch wolle man der Konkurrentin nichts entgegenhalten, „weil auf diesem Hochglanzsektor wirtschaftlich einfach nichts zu holen ist“. Dabei liegt jedoch bereits der erfolgreich getestete Dummy Me in Grabners Schublade. Grund: „Wenn Sugar sich bei 350.000, 400.000 einpendelt, dann werden wir gewappnet sein.“ Vor allem aus Angst, daß „Attic Futura bei den Mädchenzeitschriften zu viel Fett ansetzt und dann auch in anderen Bereichen übermütig wird.“

Mit den Girls scheint Attic Futura man nun endlich auf eine Goldader gestoßen zu sein, weswegen der Verlag im September gleich noch mit den ebenfalls monatlichen 16 (natürlich engl.: Sixteen!) nachzog: gleiches Outfit, gleicher Inhalt, gleiche Redaktion. Nur der Titel ist anders 16 kommt zwei Wochen nach Sugar an den Kiosk. Verleger Bregulla freut sich, in der von seinem Verlag erschlossenen Marktlücke sei noch sehr viel mehr zu holen. Sugar und 16 sind zwar quasi Konkurrenten, aber, sagt Bregulla, „das ist auch so üblich auf dem Jugendmarkt. Wenn man sich nur Poprocky oder Popcorn anguckt.“ Der Haken dabei: Poprocky wurde letztes Jahr vom Verlag Jürg Marquard zugesperrt und damit ein erstes Opfer der Jugendzeitschriftenkrise.

Eigentlich müßte man bei Marquardt jetzt auch wieder ins Schwitzen kommen: Das älteste deutsche Mädelsmag Mädchen hat mit 314.000 verkauften Heften das schlechteste Ergebnis in seiner 20jährigen Geschichte eingefahren. Aber Geschäftsführer Albrecht Hengstenberg sieht natürlich überhaupt keinen Anlaß zur Sorge. Trotzdem hat man sich mit dem vierteljährlichen Mädchen Miss Beauty sich schon mal in Sachen Hochglanz ausprobiert, „und wenn das so weiter geht, dann könnte Miss Beauty durchaus auch monatlich erscheinen.“ Außerdem habe er noch Jump in der Hinterhand, ein Sugar-ähnliches US- Konzept.

Für Überraschung hat der Erfolg von Sugar und 16 jedenfalls allenthalben gesorgt. Diese Entwicklung führte in der Branche schon zu Spekulationen darüber, ob Sugar und 16 zusammen mit Mädchen Miss Beauty und Brigitte Young Miss (YM) das neue Hochglanzsegment etabliert hätten. YM-Chefredakteurin Ulrike Fischer wehrt sich jedoch dagegen mit Sugar und 16 in eine Candy-Kiste geworfen zu werden: „Wir sind eine komplett andere Veranstaltung.“ Seit 1995 erscheint YM monatlich, seit letztem Jahr macht das Heft laut Verlag Gewinne. Bei Gruner + Jahr ist das „strategische Objekt“, das eigentlich nur dazu gedacht war, die Nachwuchsleserinnen für Brigitte zu rekrutieren, nun der ganze Stolz des Hauses.

Die Zielgruppe von YM ist mit den 14- bis 24jährigen außerdem auch älter als die der anderen Mädchenmagazine, kommt überwiegend aus vermögendem Elternhaus und hat formal einen höheren Bildungsgrad: Vorrangig Gymnasiastinnen lesen YM, im Gegensatz zu den Haupt- und Realschülerinnen, die von BravoGirl und Mädchen wissen wollen, wie es aussieht, eine gute Frau und Konsumentin zu sein. Aber auch Sugar-Verleger Bregulla, reklamiert, obwohl er diesbezüglich keine Daten zur Hand hat, die Gymnasiastinnen für sich.

Wenn das stimmt, was sagt dann der überraschende Erfolg von Sugar? Werden jüngere Mädchen zunehmen anfällig, sich am perfekten „Superweibchen“ zu orientieren? Bravo-Mann Claus-Dieter Grabner sieht die Sache schlichter: „Die brave Optik von Sugar führt natürlich dazu, daß einige Mütter sagen: Ach, kauf' dir doch lieber Sugar statt Bravo Girl!“ Ähnlich ist das bei Brigitte Young Miss: Die bringt die Mutter mit, wenn sie sich ihre Brigitte kauft. Wir hingegen machen Blätter, die sich die Kidies von ihrem eigenen Geld kaufen. Also die sind die Beatles und wir die Stones.“