Ungebremste Urlaubsfreude

Auf die Backen kommt es an. Ansonsten erfordert das Radeln über Englands Hügel viel Humor. Und Kondition sowieso  ■ Von Sven-Michael Veit

In leichter Panik stieben die Karnickel über den Ackerrain. Elstern und Raben steigen hektisch krähend in die nebligen Lüfte. Ich sei ein Tierschänder, wird Claudia, drei Minuten später und 100 Meter tiefer, unten am Bachlauf mich schelten. Und hinzufügen, mir gehöre was an die Backen.

Dabei habe ich gar keine mehr. Zumindest ist mein Fahrrad nach gut drei Wochen englische Berge rauf und vor allem englische Berge runter seiner vier Bremsbeläge fast vollständig verlustig gegangen. Zwar hatte ich vor dem Urlaub umsichtig neue montiert, aber nun kreischt nur noch Metall auf Aluminium. Klingt wie die „Einstürzenden Neubauten“.

Wer England mit dem Fahrrad plus Zelt, Schlafsack, Kochgeschirr und sonstigem Hausrat durchqueren will, braucht dreierlei, damit die Tour nicht zur Tortour wird: Selbstredend wasserdichte Regenkleidung, viel Kondition und eine kräftige Beinmuskulatur sowieso, und drittens sind leichte Berggänge von unschätzbarem Vorteil. Ohne Untersetzung – das größte Kettenblatt hinten muß größer sein als das vordere – ist Schieben angesagt. Und zwar mehrmals täglich.

Es sind nicht die lichten Höhenmeter, die den spezifischen Reiz des Radelns auf der hügeligen Insel ausmachen. Es sind die unzähligen Steilufer, die es hochzukraxeln gilt, und die engen Täler, die dutzendweise den Weg kreuzen. Wer die sanften Steigungen und Gefälle der Hauptstraßen der Automassen wegen meidet, kann zwar die Einsamkeit und Stille wildromantischer single track roads genießen, die sich ausgesprochen malerisch durch Wälder, über Heide und an Seen entlangschlängeln. Dafür sollte er mit fatalistischem Achselzucken akzeptieren, daß 20prozentiges Auf und Ab eben normal ist und Schilder mit der Aufschrift „Pass 1:3 ahead“ hierzulande zum alltäglichen Wahnsinn gehören. Nach einer Tagestour durch die North York Moors (30 Kilometer, 6 Täler, 8 Stunden) oder drei Stunden auf dem Wynrose Pass im nordwestenglischen Lake District (10 Kilometer, 25 bis 33 Prozent) sieht mensch die Welt dafür mit anderen Augen.

Oder er sieht gar nichts. Bei einem Blindflug durch die Wolkendecke auf dem Dartmoor im Südwesten zum Beispiel ist das Besinnen auf eine vierte Eigenschaft von Vorteil, die Radler in England aufweisen sollten: Wer eine regennasse Serpentine in dem Bemühen hinunterbrettert, mit der rechten Hacke auf dem Asphalt das Tempo unter 50 km/h zu halten, und dann liegt eines dieser hinterhältigen cattle grids im Weg – dem hilft nur noch eine gehörige Portion humoriger Gelassenheit.

Es sei denn, er hat Bremsbacken.