Die Grenzen zwischen Mafia und Polizei sind fließend

■ Korruptions- und Drogenskandale in der Polizei belasten den türkischen Staat. Ein Hauptbelastungszeuge gegen Top-Drogenfahnder Tankus ist nun in Haft ums Leben gekommen

Istanbul (taz) – Es war erst einmal nur ein Satz, doch der schlug ein wie eine Bombe. „Ich glaube, ich bin für vier Millionen Dollar verkauft worden.“ Ferruh Tankus, der erfolgreichste Fahnder der türkischen Polizei, gab zum Abschied vor zwei Wochen eine Pressekonferenz. Er sollte als Chef der Istanbuler Anti-Drogen-Einheit abgelöst und zum Polizeichef des Stadtbezirks Beyoglu ernannt werden. Doch was wie ein kleiner Umtrunk zum Amtswechsel begann, endete in einem der größten Eklats der türkischen Polizei. Vor laufenden Kameras beschuldigte Tankus höchste Polizeioffiziere, sie wollten ihn kaltstellen und hätten dafür von einem Drogenboß 4 Millionen Dollar kassiert. Einer dieser höchsten Polizeioffziere soll der Istanbuler Polzeipräsident Hasan Özdemir sein.

Der erst 40 Jahre alte Tankus ist der mit Abstand erfolgreichste Drogenfahnder in der Türkei. In nur zwei Jahren hat er annähernd 5 Tonnen Heroin beschlagnahmen lassen. Im Mai letzten Jahres gelang seiner Einheit in der Nähe von Istanbul der größte Fang in der Geschichte der türkischen Drogenfahndung: Auf einen Schlag stellten sie 1.200 Kilogramm Heroin sicher. Tankus wurde in den USA ausgebildet, hat gute nachrichtendienstliche Kontakte und war vor seinem Einsatz als Drogenfahnder in Ankara im Innenministerium tätig.

Den Stein ins Rollen brachte eine Operation der Drogenfahndung in Mersin, einer Industriestadt an der Südküste. Tankus ließ zusammen mit der örtlichen Polizei einen Transport von 375 Kilogramm Heroin hochgehen. Dabei wurde ein Heroinschmuggler verhaftet, einer der Bosse konnte fliehen. Der Verhaftete ist Yalsin Umo, offenbar ein guter Bekannter des Istanbuler Polizeipräsidenten aus dessen Mersiner Tagen. Sein Kompagnon, Sultan Dogan, tauchte in Istanbul unter. Gerüchte aus dem Polizeihauptquartier besagen, daß Dogan sich an Polizeichef Özdemir und einen seiner Stellvertreter wandte und sie letztlich mit Hilfe der Zahlung von 4 Millionen Dollar bewegte, Tankus aus dem Verkehr zu ziehen.

Tankus selbst nannte zwar keine Namen, verwies aber eindeutig auf seinen Chef. „Özdemir ist für meine Versetzung zuständig.“ Nach Berichten türkischer Zeitungen löste die Pressekonferenz im Polizeipräsidium „ein Erdbeben“ aus. Der Gouverneur von Istanbul stellte sich zusammen mit einem versteinert in die Kameras blickenden Özdemir der Öffentlichkeit. Während Özdemir schwieg, verkündete der Vali die Suspendierung von Tankus. Was am Mittag mit einem Plausch begann, endete am Abend damit, daß Tankus Dienstmarke und Pistole abgeben mußte und beurlaubt wurde. Innenminister Kutlu Aktaș wollte sich jedoch nicht auf die Seite des Polizeichefs stellen. Er nannte die Vorwürfe „ernst und beunruhigend“ und schickte eine Sonderkommission nach Istanbul, die nun innerhalb der Polzei ermittelt. Tankus hat seitdem ein Auftrittsverbot in der Öffentlichkeit.

Nun wird ausgerechnet Tankus beschuldigt, selbst Bestechungsgelder von Drogenbossen kassiert zu haben. Der Drogenhändler Huseyin Uzun, der sich vergangene Woche der Polizei gestellt hat, soll ein umfangreiches Geständnis abgelegt und damit hochrangige Polizeivertreter – unter ihnen Tankus – belastet haben. Am Samstag fand man Uzun tot in seiner Gefängniszelle. Offizielle Untersuchungen kamen zu dem Schluß, der Drogenhändler habe Selbstmord verübt. Sein Anwalt stellt die Selbstmordthese allerdings in Frage: Wie kann ein 1,80 Meter großer und 100 Kilogramm schwerer Mann sich in einem 1,50 Meter hohen Raum erhängen?

Während ein Teil der Polizei sich so mit sich selbst beschäftigt, ließen ihre Kollegen eine weitere Korruptionsbombe hochgehen. In der letzten Woche verhaftete die von der Regierung Yilmaz gebildete Anti-Mafia-Einheit Ihsan Kalkavan, den größten Reeder des Landes, der bislang zu der Kategorie der Unantastbaren gehörte. Mit ihm wurde der gesamte Vorstand der staatlichen Schiffahrtsgesellschaft „Deniz Nakliyat“ eingebuchtet, dem ein pensionierter Admiral und die Tochter des verstorbenen Faschistenführers Alparslan Türkeș, Seven Bilge Sarac, angehören. Der gesamten Truppe wird vorgeworfen, den Staat beim Verkauf von sechs großen Schiffen um mindestens 5 Millionen Dollar betrogen zu haben. Statt an den Meistbietenden zu verkaufen, hatte man sich unter der Hand geeinigt. Jürgen Gottschlich