"Tatort" studieren für lau

■ Von mehr Studenten wollte der NDR Rundfunkgebühren eintreiben und dachte sich juristische Kniffe aus. Doch damit verlor er vor Gericht

Viele Studenten haben jeden Monat künftig fast 30 Mark mehr in der Tasche. Sie müssen keine Rundfunkgebühren mehr bezahlen. Das Verwaltungsgericht Göttingen vereitelte Ende letzter Woche in einem Musterprozeß den Versuch des NDR, mehr Auszubildende und Studierende zum Zahlen von Rundfunkgebühren zu zwingen. Damit ist klarer geregelt, wann sich Studenten von der Zahlungspflicht befreien lassen können.

Der NDR hat seit Anfang 1997 in seinem Sendegebiet (Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) Befreiungsbestimmungen schärfer ausgelegt und von mehr Studenten Geld verlangt. Auch der MDR hatte derartiges versucht. Nach den Rundfunkgesetzen der Bundesländer muß zunächst jeder 9,45 Mark im Monat bezahlen, der ein Radio „zum Empfang bereithält“. Wer dazu einen Fernseher besitzt, zahlt insgesamt 28,25 Mark.

Allerdings können sich Hörer und Zuschauer mit geringem Einkommen wie Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger oder eben Auszubildende befreien lassen und kostenlos „Tatort“ und „Wetten, daß...?“ gucken. Wo die Obergrenze für ein „geringes Einkommen“ liegt, steht in Verordnungen aller Bundesländer: Es muß weniger sein als der anderhalbfache Sozialhilfesatz – je nach Wohnort rund 800 Mark plus Miete.

Vor knapp zwei Jahren begann der NDR, mit einer neuen Rechtsauslegung seine Gebühreneinnahmen aufzubessern: Sie betraf Studenten, die kein Bafög kriegen, sondern denen die Eltern das Studium finanzieren. Viele kriegen von den Eltern nicht die ihnen nach der Rechtsprechung zustehenden 1.100 Mark. Genau die gerieten in Konflikt mit den Gebühreneintreibern. Wer sich befreien lassen wolle, müsse zuerst bei seinen Eltern das ihm zustehende Geld einfordern, erklärte der NDR. Dann könne ja erneut geprüft werden, ob das Einkommen gering genug sei. Doch welcher Student verklagt schon seine Eltern, nur um von der Rundfunkgebühr befreit zu werden? Studentenvertreter meckerten, es folgten lange Briefwechsel zwischen einigen hartnäckigen Studenten und dem NDR, andere meldeten lieber kurzerhand ihren Fernseher ab und guckten schwarz.

Einige aber zogen vor Gericht: Darunter ein 27jähriger BWL-Student aus Göttingen. Er bekommt von seinen Eltern 900 Mark im Monat. Davon braucht er 335 Mark für seine Miete – bleiben 565 Mark: deutlich weniger als der anderhalbfache Sozialhilfesatz, der in Göttingen bei 810 Mark liegt.

Die Göttinger Richter entschieden, die Argumentation des NDR lasse sich aus der Gebührenverordnung nicht ableiten. Es sei zuviel verlangt, die Studenten zu ihren Eltern zu schicken. Das tatsächliche Einkommen sei entscheidend. Az.: 2 A 2212/98

„Damit ist die Verfahrensweise des NDR erledigt“, sagte der Schleswiger Rechtsanwalt Frank Döring, der den BWL-Studenten vertrat. Der NDR teilte mit, erst wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliege, werde er entscheiden, ob er in Berufung geht.

Der Sender scheiterte auch in einem anderen Punkt: Er kann nicht verlangen, daß die Eltern oder die Auszubildenden eine eidesstattliche Versicherung über ihren Unterhalt abgeben. Die Gebühreneintreiber hatten beklagt, Studenten könnten sich ja von ihren Eltern ein niedriges Einkommen bescheinigen lassen und Nebenjobs verschweigen. Eine Einkommenserklärung und eine Kopie des Mietvertrags genügten. Nur zum Leben reichen müsse das Einkommen – es muß mindestens so hoch wie der Sozialhilfesatz sein. Georg Löwisch