Seltenheitswert: Bremer Bürger, außer sich

■ Geburtstagsständchen für die Bremer Ausländerkultur: Rai-Sänger Cheb Mami mischte das Moments auf

Eine Momentaufnahme aus dem Moments, Sonntag abend, halb zehn: Etwa dreihundert Menschen singen, wogen, klatschen. Seit fast einer Stunde ist der algerische Rai-Sänger Cheb Mami über die Bühne gefegt, hat mit den Schultern gezuckt und mit den Hüften gewackelt und dabei erstklassig gesungen.

Selbst bei den gewagtesten Höhen ist seine glasklare, volle Stimme nicht ein einziges Mal gebrochen. Jetzt steht er still da, während seine Begleitband wieder und wieder eine Tonfolge variiert, die für ungeübte Ohren wie Schlangenbeschwörer-Gedudel klingt – bei jeder Wiederholung einen Tick schneller als zuvor. Die Menge tobt, steigert sich immer mehr in den Rhythmus hinein. Auf einmal, nach einem ganz zarten Wink des Bandleaders, herrscht Totenstille. Ein paar Takte lang füllt Mami mit seiner Stimme den ganzen Saal – nun gibt es überhaupt kein Halten mehr.

Zu seinem Geburtstag hatte der Dachverband der Ausländerkulturvereine in Bremen (DAB) sich nicht nur einen der populärsten Vertreter des modernen Rai eingeladen, sondern auch einen Meister der Dramaturgie. Mami spielte virtuos mit Spannung und Entspannung.

Irgendwer hat mal geschrieben, der Rai sei der Punk der Jugendlichen aus dem Maghreb. Doch aus dieser Rolle ist die marokkanisch-algerische Popmusik herausgewachsen. Cheb Mami ist wie Khaled, der Sänger des Weltmusikhits „Aischa“, ein Vertreter des modernen Rai, der auf traditionellen Melodien aufbaut, die Songs aber mit reichlich Keyboards und E-Gitarre garniert. Mit den rebellischen Jugendlichen, die Ende der 50er Jahre im marokkanischen Oran begannen, mit Rücksicht auf die Zensur die wilden, rebellischen Texte ihrer brachialen Folk-Tanzmusik in Liebeslyrik zu kleiden, hatte der Mann mit der schneidig glänzenden Gelfrisur wenig gemein. Mami war in eine dieser scheußlichen, wie Plastik glänzenden Lederjacken gehüllt, die man in zwielichtigen Strandshops für wenig Geld findet und dessen Tragen signalisiert: Ich will Party.

Für die eine Hälfte des Publikums, die Migranten-Kids, bedeutet der Besuch dieses Mannes genau das. Für sie war Mami genau so wichtig wie einst ein Konzert der Toten Hosen für ihre deutschen Altergenossen. Die andere Hälfte des Publikums, bunt gemischte Viertelbewohner ab Mitte 30, schätzten Cheb Mami eher für seine Rolle als professioneller Superstar eines exotischen Genres. Schließlich hat der Algerier schon in Los Angeles mit berühmten Produzenten gearbeitet und es geschafft, die beißenden arabischen Harmonien in ein schmeichelndes Soundgewand zu kleiden.

Dabei kam er aber nicht als ein auf Mittelmaß geeichter algerischer Phil Collins rüber. Mamis Songmaterial hatte Biß und Pfiff, seine großartige Stimme hatte genug Raum, um über den knackigen Arrangements gewagte Harmonien zu erforschen.

Einziger Wehrmutstropfen: der fette Zuckerguß aus Keyboards, der ab und an entscheidende Stellen zukleisterte. Vor allem, wenn Mamis E-Geiger das Instrument ablegte und in die Tasten griff, waberte es dick und klebrig durch den Konzertsaal. Besonders bei den Balladen des Cheb hätten subtilere Töne für mehr Spannung gesorgt.

An der Riesenparty änderte das allerdings nichts. Mami und seine Truppe generierten Power und die Leute, Migranten-Kids wie gesetztere Semester, hatten einfach tierisch Lust zu tanzen. Und sie wurden von der algerischen Party-Truppe trefflich bedient.

Vom Punkfaktor ist bei Cheb Mamis Version des Rai wenig übrig geblieben. Aber auch die neue Rolle als Unterhaltungs- und Partymusik jenseits des stumpfen Mainstream steht ihm.

Lars Reppesgaard