Nächtlicher Rausch

■ Die Schauspielerin Ingrid Caven mit einem Chansonprogramm im Renaissance-Theater

Starallüren, sagt sie, finde sie gräßlich. Und tatsächlich, diese zierliche Frau verströmt Charme und ruhige Eleganz, hat aber nichts von einer exaltierten Diva. Auf der Bühne aber ist Ingrid Caven ein anderes Wesen. Daß sich Chanteusen auf dem Boden und auf Flügeln zu wälzen haben, ist ihre Erfindung. Caven auf der Bühne, das ist eine Kunstgestalt. Sie singt nicht aus dem Bauch, sondern vom Kopf her. Das macht ihren Vortrag so filigran und expressiv zugleich.

1978 begann sie ihre zweite Karriere als Sängerin im Pariser ThéÛtre au Pigalle. Ihr Debüt – eine Sensation. Mit Ingrid Caven war schließlich das neue deutsche Chanson geboren. Peer Raben komponierte, Hans Magnus Enzensberger, Wolf Wondratschek und Jean-Jacques Schuhl schrieben unter anderem die Texte für sie. Und auch Rainer Werner Fassbinder, ihr kurzzeitiger Ehemann.

Für ihn war sie Muse, Kunstverwalterin. Als Schauspielerin hielt er sie kurz und gab ihr nur kleinere Auftritte wie in „Händler der vier Jahreszeiten“ oder „Götter der Pest“. Ihre wirklich bedeutenden Rollen spielte sie später unter Daniel Schmidt, André Techné oder auch Werner Schroeter.

Nach vielen Jahren tritt Ingrid Caven nun wieder in Berlin auf. Der Anlaß ist ein überaus erfreulicher: „Helle Nacht“, ihre erste Platteneinspielung seit 13 Jahren (erschienen beim Berliner Label Viellieb Records). Texte von Arno Schmidt, von James Joyce, von Fassbinder und Oscar Wilde, Kompositionen von Schönberg, John Cage und Eric Satie – in ihrer sehr literarischen, exklusiven Auffassung von Chanson hat sich Caven nicht verändert. Dabei singt sie nicht wirklich schön im klassischen Sinne.

Ihre klassische Ausbildung versteckt sie mehr, als daß sie sie vorführte und damit kokettierte. Ihre Stimme klingt oft ein wenig verlebt, ist eher laszives Raunen denn hinausgeschmettertes Tremolo. Ein nächtlicher Rausch zwischen Melancholie und Trunkenheit, Gosse und Grande Dame.

Wer sie je live erlebt hat, weiß, warum nicht nur Tim Fischer ihr lange Zeit nacheiferte, weshalb Hanna Schygulla auf ihre alten Tage es ebenso (vergeblich) tut. Über solchen Plagiaten weiß Caven zu stehen und weise über sie zu lächeln. Sie weiß, sie ist ein Original und nicht zu kopieren. Einen Abend singt sie noch in Berlin, dann verschwindet sie wieder zurück nach Paris: zu Dreharbeiten für einen Spielfilm über Marcel Proust von Raoul Ruiz an der Seite von Catherine Deneuve. Axel Schock

Noch heute um 20 Uhr, Renaissance-Theater, Hardenbergstr. 6, Charlottenburg, Restkarten an der Abendkasse