■ Vorlauf
: Horrorlandpartie, nun frisch rekonstruiert

„Vampyr“, 23.45 Uhr, Arte

Man kennt die Geschichte des Stummfilms nicht, bevor man nicht das Gesicht von Renée Maria Falconetti gesehen hat. Das ist ein Glaubenssatz unter Cineasten. Sie hat nur diesen einzigen Film gemacht: „Die Passion der Jeanne d'Arc“ (1927) unter der Regie des Dänen Carl Theodor Dreyer. Der Film besteht nur aus Großaufnahmen und Halbnahen und verzichtet auf jede Gesamtschau über den Raum, wodurch es Dreyer gelang, die angstbeladene Nähe zwischen Jeanne und ihren Folterern zu erzeugen. Obwohl der Film alles andere als ein finanzieller Erfolg war, gelangte Dreyer mit ihm in den Olymp der großen Stummfilmregisseure. Erst drei Jahre später konnte er, dank des spendablen Filmenthusiasten Nicolas de Ginzburg, ein neues Projekt in Angriff nehmen: Sein erster Tonfilm „Vampyr“ (1930/31). Der Film, der zwischen Horrorfilm und Landpartie changiert, bedient sich noch beim Stummfilm. Große Teile der Geschichte werden über die eingeblendeten Seiten eines Buches transportiert, das die Geschichte der Vampire erzählt und wie man sie bekämpft. Auch wenn der junge Müßiggänger Allan Gray (angeblich ein Julian West, tatsächlich Produzent de Ginzburg selbst) dazu weniger beiträgt als der treue Diener, der das Grab der greisen Vampirin Marguerite Chopin öffnet und ihr die Eisenstange ins Herz stößt, so ist es doch die Ankunft des jungen Mannes in Courtempierre, der die Dinge ins Rollen bringt. „Vampyr“ galt lange Zeit als zweitklassiger und technisch mangelhafter Film, was auch an den Fassungen gelegen haben mag, die noch existierten. Nachdem er auf Initiative von ZDF und Arte mit der Stiftung Deutsche Kinemathek und der Bologneser „Cineteca“ umfassend restauriert wurde, erweist er sich freilich als interessantes Experiment eines filmischen Dazwischen. Die minimalistische Dramaturgie ist nicht mehr die des Stummfilms, aber noch nicht die des Tonfilms; in den Bildern gibt der alte Expressionismus schon den Weg zur Neuen Sachlichkeit frei.Brigitte Werneburg